Alles anders

Alles anders

Kolumne von Eike Becker, "Immobilienwirtschaft" 02/2017

Zeitfragen: Welcher Investor kennt sich mit Sharing Economy aus? Welcher Entwickler hat eine Vermietungsplattform für Coworking-Flächen? Welcher Eigentümer ist mit kurzen Mietverträgen einverstanden?

Das Jahr 2016 war ein politisches Seuchenjahr. Das alarmierende Gefühl, Zeuge einer Zeitenwende zu sein, bestimmt auch den Anfang 2017. Und es bedarf schon einer satten Portion Wintersonne, um die Zukunft hell und strahlend zu sehen. Was einmal war, wird nicht mehr sein. Im Taxi auf dem Weg zum Flughafen von Barcelona brummt mir noch der Kopf von der Silvesternacht, während mir Angelika aus dem Buch „Onkel Oswald und der Sudan-Käfer“ von Roald Dahl vorliest. Darin wird geschildert, wie ein supercleverer Hedonist und Lebemann mithilfe des mächtigsten Aphrodisiakums der Welt zum Millionär wird. Eine amüsante Geschichte über Verführung, das Versprechen von Stärke und Reichtum, Glamour, Manipulation, Betrug, Genie, Lust und Potenz. Beim Blick aus dem fahrenden Auto vorbei an den beleuchteten Schaufenstern der katalanischen Metropole wird mir klar, dass diese leichtfüßige Geschichte auch von unserer scheinbar unter Drogen stehenden Zeit erzählt.

Die Auswirkungen könnten kaum radikaler sein

Selbstdarstellung und Selbstinszenierung auf Instagram und Twitter sind die Aphrodisiaka unserer Zeit. Gerade sitzen mir junge Reisende im Zug gegenüber und schauen konzentriert auf die Bildschirme ihrer Handys. Im Austausch mit ihren Freunden vermutlich. Dabei könnte ich fast glauben, es ginge bei Instagram, Twitter und Facebook nur um drollige Emojis, musical.ly, aktualisierte Profilbilder, Freundinnen und Urlaubsfotos. Aber diesen staatenlosen, unregulierten Riesenunternehmen geht es um viel dickere Fische.
Gerade ist das allergrößte Neubauprojekt der Menschheit die virtuelle Baustelle einer digitalen Welt, deren Ausmaße wir nur erahnen können. Auf diesen für Außenstehende zumeist unsichtbaren riesigen Plattformen wird nichts weniger gebaut als eine gänzlich neue Welt, eine neue Art von Erde, die unsere bekannten Straßen, Häuser, Dörfer, Städte zu antiken Stätten von morgen werden lässt. Noch handelt es sich um eine digitale Parallelwelt. Aber diese Terra incognita ist dabei, unsere alte analoge Mutter Erde in sich aufzusaugen. In Kürze wird nur das für ausreichend viele Menschen sichtbar sein, was in den neuen, digitalen Welten existiert. Und in dieser Welt des Internets der Dinge geht es Apple, Amazon, Facebook und Google um endlos viele Deals mit Produzenten, Händlern und Konsumenten. Mit ihrem punktgenauen Wissen von uns Nutzern und ihren praktischen Angeboten verführen, bezirzen und benebeln sie uns. Bis aus den fröhlichen Nutzern einer bunten neuen Welt gläserne Konsumenten werden.

Die Wächter vor den Toren der digitalen Stadt

werden nur diejenigen auf den digitalen Marktplatz lassen, die sich auf ihre Preise und Regeln einlassen. Ich gehe davon aus, dass dadurch nahezu alle bekannten Werte und tradierten Geschäftsmodelle auf dem Prüfstand stehen und durch andere ersetzt werden.

Liberaldemokratische Politiker sind von den gesellschaftlichen Veränderungen selber betroffen und in eine Schockstarre gefallen. Die nationalstaatlichen Kontrollgremien irren ahnungs- und wirkungslos durch die neuen Welten. Die internationale Staatengemeinschaft ist zurzeit von Auflösungserscheinungen gigantischen Ausmaßes gelähmt und nicht in der Lage, supranationale Institutionen so aufzustellen, dass sie effiziente Regeln implementieren könnten. Die Konzerne arbeiten ungestört an ihrer schönen neuen Welt.

Eine Entwicklung, die man im Alltag vielleicht noch verdrängen könnte, wäre nicht das angesagte Gegenaphrodisiakum aus dem Netz bereits in die höchsten politischen Ebenen gelangt: ein Gebräu aus deftig populärem, nationalistischem Dauergewitter. Egoismus, Abschottung, Dealmaking und respektlose Lügen sollen alle zu sagenhaftem Reichtum führen und angebliche Verlierer zu Gewinnern machen.

All das

bildet sich auch in der Immobilienbranche ab und wird unsere Zusammenarbeit radikal verändern. Wie die Pillen aus dem Sudan-Käfer von Onkel Oswald sind die niedrigen Zinsen, verbunden mit winzigen, teuren Wohnungen, das angesagte Aphrodisiakum der Immobilienbranche. Diese befindet sich in einem Glücksrausch hedonistischer Gefühle. Kurzfristige Deals, kaufen und wieder verkaufen, rein und schnell wieder raus, hier und da verbunden mit ruppigem Auftreten ist auch hier allzu häufig das Reichtum versprechende Geschäftsmodell. Dauerhaft kann das nicht erfolgreich sein. Das merkt nur gerade keiner. Es läuft einfach zu gut.

Stephan Bone-Winkel formuliert es auf dem „BEOS Forum weiter denken“ so: „Wir glauben, wir haben’s drauf, irren uns aber gewaltig.“ Dass man sich mit solchen in die Zukunft weisenden Themen in einer Filterblase von Fachleuten bewegt, zeigt Nifty-reads.com. Nach ihrer Studie haben neun von zehn Menschen beispielsweise vom „Internet of Things“, dem Konzept der weltweit vernetzten Dinge und Geräte, noch nichts gehört. Oder: Wer kennt das Video vom Bau der gedruckten MX3D-Stahlbrücke in Amsterdam, die komplett von Robotern geschweißt worden ist?

Für den Innovationsforscher Frank Thomas Piller von der RWTH Aachen gibt es nichts Spannenderes als 3D-Druck. Er geht davon aus, dass Produktionen, die in Niedriglohnländer verlegt wurden, durch den 3D-Druck wieder zurück zu den Verbrauchern – etwa nach Deutschland – gelangen. Alles, was digitalisiert ist, kann auch gedruckt werden. Häuser, Brathähnchen, Waffen, menschliche Organe, sinnvoll oder nicht, der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Künstliche Intelligenz, Robotik, Augmented und Virtual Reality werden ebenfalls große Veränderungen mit sich bringen. Klingt weit weg?

Welcher Investor kennt sich mit der Sharing Economy aus,

hat möglicherweise die Stellplatzanzahl seiner Tiefgarage bereits deutlich reduziert? Welcher Projektentwickler hat bereits eine eigene Vermietungsplattform für Coworking- oder Coproducing-Flächen online geschaltet? Immoscout hat das Transaktionsgeschäft revolutioniert, aber wer bietet Mietverträge per iPhone an? Wer eine Mitgliedschaft statt eines Mietvertrags? Welcher Eigentümer ist mit kurzen Mietverträgen einverstanden? Welche Versicherung kauft Super Mixed Spaces? Wer hat Erfahrung mit Quartieren hoher Dichte in urbanen Räumen? Wer plant dreidimensional und verwendet Building Information Modeling? Welche Bank organisiert auch Crowdfunding Capital?

Das sind nur wenige Beispiele, die die Branche direkt betreffen. Bone-Winkel empfiehlt Disruptions Workshops („Hacken wir unser Geschäftsmodell!“). In der Weiterentwicklung dieses Gedankens kann das im Einzelnen bedeuten, dass man eine Innovationsmanagerin im Unternehmen einsetzt. Dass man die Digitalisierung aller Prozesse in seinem Unternehmen gezielt vorantreibt. Dass man zur Stärkung seiner Kundenbeziehungen auch digitale Lösungen anbietet. Oder dass man Projekt-Werkstätten einrichtet, Hierarchien flacher gestaltet und damit die Befähigung der Mitarbeiter, Entscheidungen vor Ort zu treffen, fördert.

Es gibt 180 PropTech-Unternehmen in Deutschland. Sie arbeiten von der Suche über die Beratung und Vermittlung bis hin zur Projektsteuerung und Organisation. Unter dem Begriff Property Technology werden neuere Entwicklungen wie Apps, APIs, Big Data Analytics, Cloud Computing, Crowdfunding oder Maschinelles Lernen zusammengefasst. Das Themengebiet Prop-Tech umfasst auch den Einsatz von Drohnen, Virtual-Reality-Anwendungen und Smart-Building-Technologien.

Alexander Ubach-Utermöhl, Mitglied des ZIA Innovation Think Tank, schlägt den Etablierten vor, sich PropTechs einzuladen und ihnen die Frage zu stellen: „Was würdet ihr machen, wenn ihr uns überflüssig machen wolltet?“

Ich meine, da geht noch mehr.