Bau du lieber, ich will es nicht

Bau du lieber, ich will es nicht

Kolumne von Eike Becker, "Immobilienwirtschaft" 10/2014

Gewinnmargen der Bauunternehmen liegen weit unter zwei Prozent. Selbst wenn sie den Zuschlag erhalten, machen sie oft riesige Verluste. Unglaublich, dass das ein Geschäftsmodell sein soll!

Am 13. Juni 2013, 11.43 Uhr, sitze ich an meinem Schreibtisch und erfahre, dass BSS, der Generalunternehmer für eines unserer Bauvorhaben, Insolvenz angemeldet hat. In derselben Woche tut Alpine Bau das Gleiche. Die waren bei der Vergabe zweitplaziert. In der Folge melden der Fassadenbauer, der Haustechnikplaner und die Haustechnik Arge ebenfalls Insolvenz an. Ein Desaster für alle Beteiligten. Aber wie konnte das so kommen? Wer weiß denn, wie gebaut wird? Wer verdient und wer verdient nicht? Und wie könnte man es besser machen? Eigentlich scheint die Sonne: niedrige Zinsen, wachsende Einkommen, steigende Mieten und entschlossene Investoren haben zur Trendwende im Wohnungsbau geführt.

Die Goldenen Zeiten sind vorbei

Trotzdem sind die goldenen Zeiten der Baufürsten schon lange vorbei. Seit 1991 trug das Baugewerbe durchschnittlich fünf Prozent zur gesamten Brutto-Wertschöpfung bei. Alles zusammen heute 75.000 Baubetriebe mit etwa 750.000 Beschäftigten. Nur 0,3 Prozent aller Unternehmen beschäftigen über 200 Mitarbeiter. Noch 1995 waren etwa 1,5 Millionen Menschen im Baugewerbe beschäftigt. Der Umsatz ist um über 30 Prozent zurückgegangen. Zum Vergleich: In derselben Zeit legte das Bruttoinlandsprodukt deutlich zu und übertraf 2012 den Wert von 1991 real um mehr als 30 Prozent. Wie konnte also dieses einst so stolze Flaggschiff der deutschen Wirtschaft so den Anschluss verpassen? Wenn die Städte in Ordnung sind, ist auch die Gesellschaft in Ordnung, sagt Klaus Humpert. Das Bauen ist eine ganzheitliche, wirtschaftliche und kulturelle Aufgabe. Jedes Bauvorhaben stellt eine einzigartige Unternehmung dar, optimiert für den Zweck, den Ort und die Nutzer. Kontinuierlich steigende Ansprüche und ständig neue Werte, Normen und Regeln führen zu einem immer komplizierteren und anspruchsvolleren Bauprozess. Das erfordert ebenso rasant wachsende Kompetenzen. Spezialisten für Brandschutz, Fassaden, Bauphysik oder Verkehr sind mittlerweile Teil der Teams. Trotzdem ist das Risiko auf Überraschungen zu stoßen vorhanden. Wer übernimmt dafür eigentlich die Verantwortung?

Die Bestrebungen das ganze Problem weg zu delegieren sind groß. Pauschalverträge und wasserdichte Ausschreibungen sind das Ziel. Doch daraus entsteht ein desaströses Vergabesystem. Die Unternehmen, die nach kostenintensiven Verfahren den Zuschlag erhalten, machen häufig erhebliche Verluste. Die Gewinnmargen der Bauunternehmen liegen schon seit Jahren deutlich unter zwei Prozent. Unglaublich, dass das ein Geschäftsmodell sein soll!

Schnell planen, schnell bauen

Eine stärkere Gewichtung von Qualitätsaspekten im Vergabeprozess ist die Ausnahme. Schutz von Ideen und Know-how der unterlegenen Anbieter ist weitestgehend unbekannt. All das liegt auch daran, dass das Bauwerk für den Projektentwickler nur selten einen Mehrnutzen bietet. Schnell planen, schnell bauen, schnell verkaufen. Hit and Run. Das ist bei hochwertigen Produkten der Industrie, zum Beispiel einem Auto, ganz anders. Hier ist das Produkt für den Käufer mitunter ein Statussymbol und kann für ein besonderes Lebensgefühl stehen.

Bei der Auswahl des Architekten ist das möglicherweise noch ähnlich. Die Fassade verleiht dem Gebäude ein Gesicht. Ein Architekt mit Namen kann dem Projekt förderlich sein. Anders ist es aber in der Haustechnik, der Statik und der Bauausführung. Für den Rohbau oder einzelne Gewerke wie das Hochmauern einer Wand, das Betonieren einer Decke oder das Herstellen einer Baugrube gilt das nicht. Wenn es also um den Preis für ein konkretes Bauprojekt geht, bekommt der Billigste den Zuschlag. Dies ist Ausdruck einer Art von Nachfragemonopol. Nur ein Anbieter kommt zum Zuge, alle Anderen gehen leer aus. Dabei erhält in der Regel das Unternehmen den Zuschlag, welches gerade dem größten Zwang zum Anschlussauftrag unterliegt. Den Ausschlag gibt, wer sich in der größten Zwangslage befindet. Im Ergebnis schlagen die Einzelgeschäfte auf den Gesamtmarkt durch und prägen ihn. Die Tendenz zum unauskömmlichen Preis ist deshalb dem Baumarkt immanent.

Ein Risikovermeidungswahn

Die Ursachen der Fertigungs- und Kalkulationsrisiken sind vielfältig und müssten mitkalkuliert werden. Macht aber keiner. Der Auftraggeber strebt in der Regel einen Pauschalvertrag an, der möglichst präzise jede Eventualität berücksichtigt und jedes eigene Risiko ausschließen soll. Doch das ist nahezu unmöglich. Gerade durch diese naiven Erwartungen an „pauschal“ und „wasserdicht“ entstehen Konflikte, die das Bauen in die Länge ziehen, aufwändig machen und verteuern. Im schlechten Fall sitzen sich dann Rechtsanwälte in ihren Schützengräben gegenüber. Das große Ganze Gemeinsame ist dann schon längst nicht mehr am Tisch.
Doch auch der Generalunternehmer baut nicht mehr selber. Er ist zum Manager geworden und gibt die Verantwortung möglichst an eine Vielzahl von Subunternehmern weiter. Auch die delegieren gerne an sogenannte Lohnleister weiter. Dabei gilt das Trockenbauprinzip: der Eine stellt mit seinem Team nur die Ständer, der Nächste schraubt die Platten an und der Dritte verspachtelt alles. Rabotti, Rabotti!

Diese Unternehmen sind dann in der Regel für den Bauherren Unbekannte. Denn Bauunternehmer kann jeder werden, nur die wenigsten bleiben es auf Dauer. Die Folgen dieses Riskovermeidungswahns: Verzug, enormer Aufwand für Verteidigungs- und Angriffsschlachten, hohe Kosten, Pfusch am Bau und Insolvenzen. Dieser irrsinnige Energievernichtungsprozess ist für die gesamte Immobilienbranche bedrohlich. Das Baugewerbe verdient nicht das, was es erwirtschaften müsste. Bauherren neigen dazu ihre Verantwortung am Bauprozess protokollierenden Projektsteuerern abzutreten. Und die Entwurfsplaner sind schon nicht mehr dabei. Denn die wollen oder können angeblich ja keine Werkplanung. Eine Spirale nach unten entsteht. Die Atomisierung des Planens und Bauens führt auf Dauer zu großflächigem Wissensverlust und zur Entprofessionalisierung der Branche. Denn gutes Personal kostet Geld und muss ständig weitergebildet werden. Geld, das mit Bauen nur schwer erwirtschaftet werden kann. Alles in Allem ein Skandal!

Ziel muss es sein, diesen Prozess umzukehren und das Bauen wieder auf wirtschaftlich solide Beine zu stellen. Erst dann werden die Unternehmen dauerhaft, innovativ, kostengünstig und verlässlich bauen können. Dazu müssen die Projektentwickler und alle anderen Beteiligten ihre ureigenen Aufgaben annehmen und die erforderlichen Kompetenzen innerhalb ihres Unternehmens aufbauen. Der schnelle Deal entlang des Weges reicht nicht aus. Risiken sollten erkannt, angenommen und geteilt werden. Die Entwurfsplaner sollten auch die Werkplanung anfertigen und für das fertige Werk verantwortlich sein. Verträge sollten den partnerschaftlichen Austausch von Leistungen regeln, anstelle Scheinsicherheiten anzustreben, die es nicht geben kann. Dauerhafter Erfolg ist nur dann möglich, wenn auch die Geschäftspartner ihre individuellen Ziele erreichen. Ganz einfach: Alles meins, nichts deins war schon im Sandkasten kein Erfolg.