Hoch hinaus

Hoch hinaus

Kolumne von Eike Becker, "Immobilienwirtschaft" 05/2015

Hochhäuser sind leidenschaftlich umkämpft. Bringen Fallwinde, aber schaffen Raum, verringern Kostendruck. Mit ihnen kehrt die durchmischte Stadt mit ihrem urbanen, dichten Leben zurück in die Zentren.

Schon von Weitem sind die Geschlechtertürme von San Gimignano über den Hügeln der Toskana zu sehen. Prominente Zeugen stolzer Kerle, die mit ihren Türmen die Bedeutung ihrer Familien klärten und allen zeigten, wo der Hammer hängt. Die leergezogenen Überreste sind heute Zeugen einer längst vergangenen Lebensweise. Scheitern als Chance, die Geschichte ist voller kühner Beispiele von hoch hinauf und tief gefallen. Wie keine Bauaufgabe zuvor vereint das Hochhaus als Typus hochgesteckte Ambitionen und dramatische Misserfolge.

Doch bis ins Mittelalter muss ich gar nicht gehen. Heute sind Wohnhochhäuser mit den Aufräumarbeiten in den Sozialsiedlungen der 60er und 70er Jahre verbunden. Die Grobkonzepte der freistehenden Hochhausscheiben, umgeben von zugigen Trockenrasenvegetationen und breiten, automobilgerechten Straßen, fristen heute ein jämmerliches Dasein an den Rändern der Innenstädte. Sie stehen genauso für geknickte gesellschaftliche Visionen wie die Geschlechtertürme in der Toskana. Doch mit dem Wachstum kehrt auch die Idee der Wohnhochhäuser in die deutschen Innenstädte zurück. Skyscraper zum Wohnen haben in den Megametropolen Asiens und Nordamerikas unvermindert Hochkonjunktur. Und auch in London boomt das Geschäft mit der Aussicht. Über 100 Hochhausprojekte mit Wohnraum sind dort nach Angaben des Maklers Knight Frank genehmigt oder auf der Baustelle. Das höchste Wohngebäude Europas, The Shard, steht mit 310 m bereits in London.

Auch wenn diese Dimensionen in Deutschland nicht einmal per Fernglas gesichtet werden, veranstaltet das Deutsche Architekturmuseum alle zwei Jahre den Internationalen Hochhauspreis. Mit der Präsentation des 36 Stockwerke hohen Wohngebäudes Newton Suites aus Singapur von den Architekten WOHA kehrte die Faszination Wohnen im Hochhaus am 10.08.2008 nach Frankfurt zurück. Vor dem Immobilienforum in Frankfurt hielten die Architekten einen für die anwesenden Herren atemberaubenden Vortrag. Auch Peter Cachola Schmal, der Direktor des Deutschen Architektur Museums, war begeistert. Nachbarschaftlich sollte das Hochhaus sein und grün, mit hängenden Gärten, von oben bis unten.

Mittlerweile ist das Thema Trend

Der Turm von Frank Gehry am Berliner Alexanderplatz soll 150 m hoch werden, der Tower 2 im Frankfurter Europaviertel sogar 160 m. Auch der neue Henninger Turm in Frankfurt Sachsenhausen ist 140 m hoch geplant, selbst in Stuttgart Fellbach sollen es 107 m werden. Mit den seelenlosen Wohnmaschinen der Schlafstädte aus den 60er Jahren haben diese neuen vertikalen Dörfer aber kaum etwas gemein. Wir sprechen hier von Hochhäusern für eine städtisch differenzierte Gesellschaft mit neuen Bedürfnissen und veränderten Lebenssituationen. Sie erhalten sinnvollerweise einen Sockel, der öffentlichen Nutzungen Platz bietet und vor Fallwinden schützt. Diese Häuser sind nicht Ausdruck männlicher Eitelkeit und wetteifern auch nicht mit dem 828 m hohen Burj Khalifa in Dubai, dem höchsten Gebäude der Welt. Diese superhohen Häuser sind fragwürdige Gewaltmärsche in die Wolken, nur mit enormem Energie-, Material- und Kosteneinsatz zu bewerkstelligen. Bei diesen Türmen geht der Erschließungs- und Konstruktionsanteil über 50 Prozent. Diese Spielzeuge pubertärer Jungen sind Meisterwerke an Ineffizienz und Energieverschwendung. Es geht auch nicht um Monsterhäuser für Superreiche.

Ein hohes Haus ist ein hohes Haus in Relation zu seiner niedrigeren Nachbarschaft. Damit ist Höhe relativ. Ein 22-geschossiges Hochhaus am Potsdamer Platz wäre in Manhattan ein Zwerg, ist aber am Potsdamer Platz ein Riese. Hochhäuser sind als Bautypus leidenschaftlich umkämpft. Fallwinde, dunkle Straßenschluchten, der mögliche Verlust des menschlichen Maßstabs, öffentliche Plätze als übrig gebliebene Zwischenräume, eine Hierarchisierung der Stadtsilhouette und eine damit einhergehende Hierarchisierung der Gesellschaft, „die da oben und wir ganz unten“ sind nur einige Argumente gegen Hochhäuser.

Sie sind ein diabolisches Werkzeug im Werkzeugkasten der Stadtplanung 

Sie bieten auf die Entfernung Orientierung, werden mit Prestige verbunden, schaffen zusätzliche räumliche Möglichkeiten, insbesondere, wenn sie im Verbund angeordnet werden. Sie stehen für wirtschaftliche Prosperität, für starke Verdichtung und eine abwechslungsreiche, inspirierende, ambitionierte Umgebung. Sie können bis zu einer gewissen Höhe auch eine wirtschaftliche Lösung darstellen und energieeffizient sein. Zugleich berücksichtigen sie mit ihrem Wohnangebot die unterschiedlichen Erwartungen der neuen Stadtbewohner. Hochhäuser bieten herausragende Wohnsituationen, aber vor allem für die, die sie sich leisten können. 

An einem Wettbewerb um das höchste Hochhaus der Welt wird sich keine deutsche Stadt beteiligen. Auch Frankfurt am Main nicht. Es gibt nur 75 Häuser über 100 m in Deutschland, davon die Hälfte in der Mainmetropole. Nicht einmal zehn Gebäude sind über 40 Geschosse, ca. 170 m. Alle stehen in Frankfurt/M., alles Bürogebäude. Weil die meisten deutschen Städte eine historische Silhouette aus Kuppeln und Kirchtürmen besitzen, sind Hochhäuser zumeist nicht mehrheitsfähig. Megahohe Häuser passen nicht zwangsläufig zu einer inklusiven Gesellschaft, die sich am Konsens orientiert und bemüht ist, zwischen den unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen immer wieder zu vermitteln. Extrempositionen sind mit dieser Strategie nur ganz selten zu erreichen. Denn Stadtplanung ist Gemeinschaftssache. Viele gesellschaftliche Gruppen sind an dem Diskurs beteiligt. Auch deshalb ist das Hochhaus nicht der Bautypus, der sich in Deutschland auf breiter Front hat durchsetzen können oder durchsetzen wird. Es ist nicht überraschend, dass fast die Hälfte der 20 höchsten Häuser Europas in Moskau steht.

Auch das Argument der großen Verdichtung

ist nicht allein entscheidend für den Bau von freistehenden Hochhäusern. Große Dichte ist mit den blockartigen Strukturen des 19. Jahrhunderts energieeffizienter und kostengünstiger zu erreichen. Wie so häufig bietet die Kombination unterschiedlicher Systeme eine verbesserte Lösung. Es ist die Verbindung von Sockel und bis zu 30-geschossigem Hochhaus, von geschlossenem, definiertem Straßen- und Platzraum und der fließenden, offenen Raumstruktur darüber, die an bestimmten Stellen in der Stadt eine Lösung sein kann. Hier kommen die Stärken der Moderne mit denen der gewachsenen Stadt zusammen.

Es entstehen klar definierte, urbane Stadträume mit Läden, Cafés, Restaurants und weiterer Infrastruktur im Erdgeschoss. Warum nicht auch Sportvereinen, Musikclubs oder Bürgerinitiativen die Erdgeschoss-nahen Flächen günstig zur Verfügung stellen? „Die Mehrheit der Menschen kommt in die Innenstadt, weil sie andere Menschen treffen und etwas erleben will“, ist Jan Gehl, einer der einflussreichsten Stadtplaner der Welt, überzeugt.

Je höher die Ausnutzung des Grund und Bodens, desto geringer kann der Kostendruck sein und desto größer ist der Raum für Alternativen. Für Nutzungen, die Menschen zusammenbringen, Gemeinschaft fördern und Nachbarschaft erzeugen. Der Concierge als Organisator und Helfer für das ganze Quartier, der Waschsalon auch als Café, eine Küche zum Kochen mit Freunden, ein Fahrradwerkstattrestaurant, Gemüsegärten mit angeschlossener Fischzucht auf dem Dach. Alles sind attraktive Nachbarn, die die Lebensqualität der Bewohner und ihren Zusammenhalt fördern. So kehrt die durchmischte Stadt mit ihrem urbanen, dichten Leben wieder zurück in die Zentren. Warum soll das nicht gehen?