In Grund und Boden

In Grund und Boden

Kolumne von Eike Becker, "Immobilienwirtschaft" 09/2016

Leider legal: Immer mehr Grundstücke werden nicht bebaut, weil Spekulanten auf Wertsteigerung warten. Aber Städte sind nicht wie Wetten auf Edelmetalle, Schweinehälften, Fußballspiele. Sie sind Lebenswelten.

Gerade fällt die Tür des Planungsdezernenten hinter mir zu, ich bin noch ganz in Gedanken auf der anderen Seite, da klopft mir der Grundstückseigentümer euphorisch auf die Schulter und beglückwünscht mich zu meinem Entwurf. Der gefällt dem Stadtplanungsamt so gut, dass die Genehmigung von deutlich mehr Geschossfläche auf dem Grundstück in Aussicht gestellt wird. Allein die Möglichkeit, mehr zu bauen, erhöht den Wert des Grundstücks so sehr, dass der Eigentümer sich entschieden hat, nicht mehr zu bauen und das Grundstück mit dem gewonnenen Planungsrecht gleich weiterzuverkaufen. Mir wird schwindelig. Ich fühle mich betrogen, kann mein Wort gegenüber der Stadt nicht halten. Denn mit einem Verkauf hat ein neuer Eigentümer wieder mehr bezahlt und die Verhandlungen mit dem Amt um das Wie und Wieviel beginnen mit einem anderen Architekten von Neuem. Ein bekanntes Spiel, jedes Grundstück hat seine Planungsgeschichte.

Berlins Staatssekretär für Bauen und Wohnen, Engelbert Lütke Daldrup, spricht von rund 22.000 genehmigten Bauvorhaben im vergangenen Jahr. Aber nur 40 Prozent davon werden realisiert. Die Mehrheit der Genehmigungen wird zur Grundstückswertsteigerung missbraucht. Hier sind Spekulanten am Werk, die so tun, als wollten sie bauen, aber in Wirklichkeit einen Grundstückshandel betreiben. In den Innenstadtlagen Berlins sind die Grundstückspreise innerhalb eines Jahres um 50 Prozent, im schon superteuren München um 20 Prozent, in Frankfurt in den letzten zwei Jahren um 25 Prozent gestiegen.

Städte sind keine Schweinehälften

Natürlich kann jeder Besitzer sein Eigentum verkaufen – wann und an wen und für wie viel es ihm opportun erscheint. Die Eigentumsgarantie ist nach Artikel 14 des Grundgesetzes ein elementares Grundrecht. Doch Spekulation mit Grundstücken schadet in ihrer Massivität und Häufigkeit den Städten und deren Gesellschaften. In London ist Wohnraum noch knapper und noch teurer. Trotzdem stehen bereits ganze Wohnblocks leer, weil die globalen Spekulanten nicht an den Häusern, nicht an den Menschen, nicht an den Quartieren und nicht an der Stadt interessiert sind. Ihnen geht es allein um die Spekulation auf weiter steigende Bodenpreise.

Auch in Berlin gibt es viele solcher spektakulären Beispiele. Am Checkpoint Charlie wälzen sich die Touristenbusse in endloser Kette über das begehrte Pflaster, aber über 25 Jahre nach der Wende ist der weltberühmte Grenzübergang zu beiden Seiten noch immer eine Brache, notdürftig mit „Bauzäunen“, Bierschwemmen und Bratwurstbuden kaschiert. Landbanking nennt man dieses Geschäftsmodell in Irland. An- und Verkauf ohne Willen zu einem eigenen, konstruktiven Beitrag. Wertabschöpfung ohne Mehrwertschaffung. Ähnlich den Wegelagerern im Mittelalter oder den Daytradern an der Börse. Einfach abwarten und den Mehrwert einstreichen, während die Stadt mit hohem Aufwand die öffentliche Infrastruktur wie Straßen, Plätze, Parks, Museen und Flughäfen unterhält, ausbaut und damit wesentlich die Wertsteigerung der privaten Grundstücke befördert. Aber Städte sind nicht wie Wetten auf Edelmetalle, Schweinehälften oder Fußballspiele. Sie sind keine Spekulationsobjekte. Sie sind vorrangig Heimat und Lebenswelt für viele. In Absatz 2 des Artikels 14 des Grundgesetzes heißt es: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“

In der Stadt geht es um reale Lebensfragen. Was ist der Nutzen für andere? Kann Lebensqualität verbessert werden, die Nachbarschaft gestärkt, eine Kita gebaut, Wohnungen geschaffen werden? In Zeiten großer Wohnungsknappheit und starken Wachstums müssen die bestehenden Ressourcen deutlich besser genutzt werden.

Warum überhaupt Grundstücke verkaufen?

Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) oder der Liegenschaftsfonds in Berlin können vielfach davon berichten. Über Jahre werden von diesen Institutionen öffentliche Grundstücke verscherbelt. Dabei bekommt derjenige das Grundstück, der einfach mehr Geld dafür bezahlt. Ein Skandal ohnegleichen! Zwar kann der Fonds vorrechnen, dass dadurch aus nicht mehr benötigten Landes-Immobilien „Neues, Modernisiertes und Vitales“ entstand und Geld eingenommen wurde. Aber der Zugriff auf riesige Flächen in zentralsten Lagen ist für immer vergeben.

In Berlin waren es in den Jahren 2001 bis 2012 insgesamt 6.300 Immobilien mit einer Fläche von 16 Millionen Quadratmetern für 2,4 Milliarden Euro. Für immer weg!

Und wie häufig ist es vorgekommen, dass der Zuschlagsberechtigte möglichst langwierig den Vertrag verhandelt und dann noch vor der Zahlungsfrist mit deutlichem Gewinn „weiterverkauft“. Sollte der so genannte Käufer keinen einstiegsbereiten finanzstarken Investor finden, gibt er aus fadenscheinigen Gründen das Grundstück einfach zurück. Eine risikoarme Geschäftsidee. Bei solcher Art von Kettenbriefspekulation wird kein Wert geschaffen. Aber am Ende ist das Grundstück für den, der tatsächlich bauen will, fast nicht mehr zu stemmen. In München kostet der Quadratmeter Grundstück bereits durchschnittlich 3.000 Euro. Das muss dann an den Baukosten wieder eingespart werden. Die Folge sind hochspekulierte Billigbuden, die dann für viele Mieter immer noch zu teuer sind. Die Dummen sind die eigentlichen Nutzer, die für hart erarbeitetes Geld wenig bekommen.

Während bei der BImA und den meisten Kommunen heute noch ausschließlich nach monetären Kriterien Grundstücke verscherbelt werden, hat das Land Berlin endlich umgedacht und mit dem Konzept zur „Transparenten Liegenschaftspolitik“ auch „wirtschafts-, wohnungs-, kultur- und stadtentwicklungspolitische Ziele“ formuliert. Leider erst viel zu spät. Das Beste ist bereits verkauft. Doch nun werden Grundstücke unter der Vereinbarung einer gewünschten Nutzung auch konzeptorientiert und direkt vergeben. So können geeignete Grundstücke beispielsweise den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften zur Errichtung preiswerten Wohnraums übereignet werden. Leider sind die Wohnungsbaugesellschaften allein durch die schiere Masse der Aufgabe völlig überfordert. Die sind ja bis vor Kurzem nur noch Verwalter von großen Beständen gewesen und müssen sich jetzt erst wieder ihre Bau- und Entwicklungskompetenz erarbeiten.

Aber warum bis heute immer noch viele Grundstücke in guten Lagen von der öffentlichen Hand an privat veräußert werden, leuchtet mir nicht ein. Einmal verkauft sind die Filetgrundstücke für immer weg. Vielmehr sollten Grundstücke in zentralen Lagen durch Erbbaurechte vergeben werden. Beim Erbbaurecht werden der Boden und die darauf errichteten Gebäude rechtlich getrennt. Investoren rechnen ihre Engagements in der Regel über kurze Zeiträume. In 15 bis 25 Jahren hat sich auch eine langfristige Investition gerechnet. Das Land bleibt dauerhaft im Eigentum der öffentlichen Hand und wechselt nur den Besitzer. Zum Ablauf des Pachtvertrages nach vielleicht 25 Jahren kann dann im öffentlichen Interesse geschaut werden, ob die Nutzung so bleibt oder etwas Besseres mit dem Grundstück angefangen werden kann.

Aber dazu mehr in einer der nächsten Kolumnen.