Lernen, lebenslang

Lernen, lebenslang

Kolumne von Eike Becker, "Immobilienwirtschaft" 11/2017

Die Zahl der Studiengänge ist nicht das Problem. Aber die Fortbildungsangebote nach dem Studium reichen bei Weitem nicht. Lebenslanges Lernen ist noch nicht angekommen in der Immobilienbranche.

Am Flughafen holt mich Wojciech Fudala von der SIRP, der dortigen Architektenkammer, ab. Er ist der junge Kurator der Vortragsreihe „Masters of Architecture“ in Katowice. Auf der Fahrt fliegen Häuser an mir vorbei, von denen ich dachte sie bereits vor Jahren hinter mir gelassen zu haben. Unser Ziel ist das neue kulturelle Zentrum der Stadt. Die Region wird gerade umgepflügt. Wie das Ruhrgebiet. Zechen schließen, Kultur- und Dienstleistungen sollen die Arbeitsplätze und den Stolz wieder zu Tage fördern. Auf der ehemaligen Steinkohlezeche haben die Grazer Architekten Riegler Riewe das neue Schlesische Museum in den Fels gegraben. Gegenüber steht das Konzerthaus für das Nationale Radio Symphonie Orchester, daneben das Internationale Konferenzzentrum, innen und außen kohlrabenschwarz, von Jems aus Warschau. Alles sehr schöne Gebäude, von der EU gefördert. So kann Umbruch auch aussehen.

Der deutsche Kulturattaché ist die drei Stunden Fahrt aus Warschau gekommen. Ein humorvoll ironischer Diplomat. Trotz seiner Zweifel angesichts der Größe des Hauses bildet sich eine Schlange vor dem Einlass und der 400 Zuschauer fassende Saal füllt sich zusehends. Zu meiner Überraschung vor allem mit Studentinnen. Sie kommen von den umliegenden Universitäten aus Kraków, Katowice und Gliwice.

Die Architektur wird weiblich hier. In meinem Vortrag spreche ich von dem Mut, der hilft, wenn man als junger Mensch vielleicht mit eigenen Zweifeln, aber erfüllt von der Liebe zu allem die Welt verbessern will.

Ich erzähle von meinen Bildungs- und Misserfolgen.

Von Gottfried Böhm, der als Pritzker Preisträger im selbstgestrickten Wollpullover und mit schlohweißem Haar mit gebeugter Haltung in der rappelvollen Aula der RWTH Aachen dem ersten Semester seinen Lebensweg nachzeichnete und Bescheidenheit vorlebte. Im Institut für leichte Flächentragwerke traf ich in Stuttgart auf Frei Otto. Ein blitzgescheites Genie, das sich auch erlaubte, seine Talente gebührend zu würdigen.

Beeindruckt hat mich auch Klaus Humpert, der beweisen konnte, dass auch die modernen Großstädte natürliche Konstruktionen sind. Dass sie quasi auf ganz natürliche Weise entstanden sind, nach weltweiten Prinzipien, trotz millionenfacher Planung im Großen und Ganzen ungewollt.

Ansonsten sprach Humpert von „Besetzen, Bewegen und Aufrichten“, von „Wegelagerern“ und „zellulärem Stadtwachstum“. Wir erforschten die morgendliche „Besiedlung“ des Uni-Parkplatzes und fanden heraus, warum der Trampelpfad über die Universitätswiese Jahr für Jahr immer wieder genau an derselben Stelle einen Knick bekam. Durch ein bescheidenes Erasmus-Stipendium lernte ich in Paris auch die harte Seite des Lebens kennen. Wenn man die Sprache nicht flüssig spricht und die Menschen sich genervt abwenden, bleibt das eigene Schiffchen auf dem Trockenen.

Aber auch wenn kaum einer mit mir sprechen wollte, konnte ich vor Ort von der Kathedrale in Beauvais bis zum Parc de la Villette alles studieren, was sich nicht bewegte. Doch das Rom meiner Lehrjahre war London mit der Architectural Association und den großartigen Architekturbüros von Norman Foster und Richard Rogers …

Die Studenten im Kongresszentrum von Katowice wollen mehr erfahren.

Ihre Fragen kreisen um ihre eigenen Perspektiven nach dem Studium. Ich rate ihnen, in die wirklich großen Städte zu gehen, um von denen zu lernen, die es draufhaben. Bildung hat sehr viel mit Vorbildern und der anschließenden Suche nach dem eigenen Weg zu tun. Denn in der Regel reicht es nicht, jemanden zu fragen, wie es geht. Es muss gelebt werden. Aber mein Studium
ist Ewigkeiten her. Heute ist alles anders. Kaum ein Bereich hat solche radikalen Veränderungen erlebt wie das Hochschulwesen. Die Reformen nach der Bologna-Erklärung der 29 europäischen Bildungsminister haben keinen Stein auf dem anderen gelassen. Das Studium sollte kürzer, praxisnäher und internationaler werden. Die Hochschulen ächzen noch heute unter den kolossalen Anstrengungen, die besonders zu Anfang von wütenden Protesten begleitet wurden. Auch heute noch sind weitere Reformen auf der Bologna-Baustelle erforderlich, um die ursprünglichen Ziele zu erreichen.

Ich sehe vor allem, dass sich Ausbildung und Berufsleben immer mehr voneinander entfernen. Die, die an den Universitäten unterrichten, bauen relativ wenig und die, die viel bauen, unterrichten nicht viel. In einer sich immer weiter ausdifferenzierenden Gesellschaft mag beides wohl nicht mehr zusammen gehen.

Die jungen ArchitektInnen erlebe ich dann nach ihrem Studium. Gerade habe ich mal nachgefragt: In unserem Architekturbüro arbeiten zurzeit Vertreter aus 15 Nationen. Die Berufsanfänger der Generation Bachelor sind deutlich jünger. Mit 17 Abitur und mit 22 Studienabschluss kommt häufig vor. Sie sind motiviert, flexibel, mehrsprachig, Digital Natives und international erfahren. Kann ich aber deshalb von diesen Wunderkindern erwarten, dass sie bereits fertig ausgebildete Architekten sind und Planungs- und Bauerfahrung mitbringen? Wir sind auch deshalb ein Ausbildungsunternehmen geworden und haben unsere Organisation entsprechend umgebaut. Wir wollen uns gemeinsam weiterentwickeln und dabei auch jeden für sich voranbringen. Die Ausbildung ist nicht mit dem Bachelor oder Master abgeschlossen. Vielmehr geht es darum, weiterzulernen, die eigenen Ziele immer wieder neu zu formulieren und an die veränderten Bedingungen anzupassen. Wir wollen nicht akzeptieren, dass die Welt so ist, wie sie ist. In jeder Lebensphase können wir versuchen, unser Schicksal in die Hand zu nehmen. Immer wieder stellen wir den jungen Kollegen Fragen: Wo willst du persönlich hin? Was willst du lernen im kommenden Jahr? Was können wir zusammen besser machen? Wir beschäftigen eine Deutsch-Lehrerin, machen kontinuierlich Weiterbildungsprogramme, zum Beispiel für BIM, laden Hersteller ein, uns ihre Entwicklungen zu präsentieren, und gehen abends zusammen in die Oper oder in die Galerien.

Dabei sind wir ein Beispiel von vielen.

Bei einer Veranstaltung des Wirtschaftsrates beklagte sich ein Teilnehmer über den Arbeitskräftemangel. Nach meiner Frage zu ihrer eigenen Situation in die Runde erhoben 20 Manager ebenfalls ihre Hände. Alle suchen Mitarbeiter, zahlen inzwischen höhere Löhne und qualifizieren sich als bessere Arbeitgeber. Gut so. Immer mehr Menschen bekommen eine solide Ausbildung, verdienen mehr und erhalten dann im Beruf ihre individuelle Weiterbildung. Ein gutes Konzept. Eigentlich. Wenn da nicht die riesengroße Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage wäre. Es gibt zurzeit 78 Bachelor-Studiengänge für Architektur in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Allein in Deutschland studieren zurzeit 50.000 an Hochschulen in den Fächern Architektur, Innenund Landschaftsarchitektur und Stadtplanung. Doch es gibt bei Weitem nicht genug Fortbildungsangebote nach dem Studium. Lebenslanges Lernen ist eben noch nicht angekommen in der Immobilienbranche.

Deshalb ist mir auch etwas bang um diese neue Generation der Schnellläufer voller Motivation und Talent, wie ich sie gerade in Katowice kennengelernt habe. Die großen, weltumspannenden Themen sind Migration, Energie und Digitalisierung. Auf allen drei Feldern ist die Immobilienwirtschaft mitten im Gewühl. Wir wissen noch gar nicht, was für Anforderungen an uns und die nächste Generation gestellt werden. Aber ich vermute, dass dadurch unsere Art zu leben, zu denken und zu arbeiten in die Waschmaschine gerät. Wenn wir aber die großen Bildungsfragen nicht entschiedener angehen, werden uns die Ideen fehlen, da wieder rauszukommen.