Monumental

Monumental

Kolumne von Eike Becker, "Immobilienwirtschaft" 03/2017

Affirmativ, populistisch, retrospektiv und monumental sehen viele neue Gebäude in Deutschland inzwischen aus. Das sind für mich die Vorboten einer rückwärtsgewandten, selbstbezogenen und begrenzten Welt.

Das Foyer der Gemäldegalerie im Kulturforum Berlin ist ein zugiger Ort. Gerade habe ich den Rundgang durch die langen Tafelreihen mit den vielen Beiträgen der ersten Wettbewerbsphase für die Neue Nationalgalerie, das Museum des 20. Jahrhunderts, durchschritten und wende mich schon wieder dem Ausgang zu. Da macht mich ein Kollege darauf aufmerksam, dass ich erst einen kleinen Teil der eingereichten Wettbewerbsentwürfe gesehen habe.

Und tatsächlich, einen Treppenabsatz weiter unten bietet sich mir durch ein Fenster der erschütternde Ausblick auf 400 weitere, liebevoll entworfene und fein gebaute Architekturmodelle. Sie stehen dicht an dicht auf einem riesigen, tafelartigen Tisch und füllen einen turnhallengroßen Ausstellungsraum. Diese Arbeiten wurden bereits in der ersten und zweiten Runde aussortiert. Hier sind alle nur denkbaren Stilrichtungen vertreten: wilder Expressionismus aus Österreich, organisch berechneter Parametrismus aus England, kühler Minimalismus, klassische Moderne, sentimentale Postmoderne, romantischer Historismus aus den Niederlanden, Belgien, der Schweiz, Frankreich, Italien, Amerika, China, Japan und vielen weiteren Ländern. Es geht ja schließlich um die Aufgabe der Aufgaben, die Komplettierung des Kulturforums mitten in Berlin. Staatsministerin Monika Grütters hat die Initiative ergriffen und für das bereits über Jahrzehnte diskutierte Vorhaben 200 Millionen Euro eingeworben.

Aus den fast 500 abgegebenen Entwürfen wurden zehn eigenartig schlichte Arbeiten für die zweite Wettbewerbsphase ausgewählt. Vorrangig lange, abstrakte, schmale Riegel, die zwischen die Nationalgalerie von Mies und die Philharmonie von Scharoun gestellt wurden. So viele Arbeiten und so wenig prägnante Architektur, die die strenge Prüfung durch die Jury passieren konnte.

Ziemlich enttäuscht stand ich wieder draußen auf der noch leeren Fläche des Kulturforums. Schweißausbruch. Warum kommen so häufig so banale Entwürfe ganz nach vorne? Auch bei anderen Wettbewerben beobachte ich als Teilnehmer oder Juror immer häufiger, dass sich innovative Lösungen schwertun und konventionelle Vorschläge den Auswahlprozess siegreich durchlaufen. Aber diese Backsteine sollten die Lösung für eine schier unlösbare Aufgabe sein? Eine Aufgabe, an der bereits eine Vielzahl von Architekten wie die Prinzen am überwucherten Burggraben vor dem Schloss von Dornröschen gescheitert sind.

Giganten unter den Riesen

Also hoffte ich auf die zweite Phase, den entscheidenden Wettbewerb. Denn dabei wurde das Teil-nehmerfeld um einige weltweit besonders qualifizierte, namhafte Architekturbüros erweitert. Als dann wenige Monate später die Jury die endgültige Wettbewerbsentscheidung vorstellte, war ich entsetzt und wütend. Die Schweizer Herzog & de Meuron wurden nach der zweiten Phase der staunenden Weltöffentlichkeit als Sieger präsentiert. Ein großartiges Architekturbüro, gerade wegen der Elbphilharmonie hoch gelobt, weltweit vielfach ausgezeichnet, Giganten unter den Riesen. So weit, so gut. Aber jetzt kommt’s: Der Entwurf hat die Form eines in dunkelbraunem Ziegel gemauerten Wiesenzeltes. Ein über das gesamte Grundstück breitgeklopftes Knusperhäuschen, eine Satteldach-beschirmte Bahnhofshalle, ein umgefallener Grabstein für das Beste des 20. Jahrhunderts. Das soll die herausragende intellektuelle Meisterleistung unter fast 500 Angeboten gewesen sein? Ein Haus der Kunst, eine Urhütte, ein kolossaler Bruch mit der modernen Großtradition des Kulturforums. Das Haus vom Nikolaus zwischen den Demoiselles d’Avignon und dem Schwarzen Quadrat von Malewitsch. Wie konnte das geschehen?

Mich interessieren in diesem Zusammenhang nicht Themen wie Affinitäten zwischen Jurymitgliedern und Wettbewerbsteilnehmern. (Zwei einflussreiche Eidgenossen in der Jury wählten ihre Freunde auf den ersten Platz.) Auch der Zynismus interessiert mich nicht, mit dem fast 500 anderen Architekturbüros eine echte Chance vorgegaukelt wurde. (Weshalb ich persönlich nicht teilgenommen habe.) Mich interessieren nicht die beteiligten Personen, sondern die Strukturen, die zu dieser Art von monumentalen Entwürfen tendieren. Hier an diesem Beispiel stellvertretend für viele andere Wettbewerbe überall im Lande.

Wie erfahren auch immer eine Gruppe von Juroren ist: Die Auswahl, bereits aus einem Feld von 20 Entwürfen, stellt eine anspruchsvolle, unübersichtliche Aufgabe dar. Das kenne ich selber aus Erfahrung nur zu gut. Das erste Ziel der Jury ist deshalb die Vereinfachung durch Aussortieren. Nach dem Prinzip: Ich weiß schnell, was ich nicht will, aber noch nicht, was ich will.

Dabei tun sich einfache, rustikale Konzepte, die weniger riskieren, leichter. Sie bieten kaum Angriffsflächen und durchstehen diese Phase besser. Rationale Konzepte, ableitbar und erläuterbar, sind eher konsensfähig. Ähnlich wie beim Fußballtippen ist ein 1:0 deutlich wahrscheinlicher als ein 4:3.

Denn klare und einfache Setzungen sind wie die Überschriften der Boulevardzeitungen. Sofort verständlich. Bereits bekannte Archetypen sind wie Schlager aus den 70ern. Jeder kann mitsummen. Architektonische Themen wie die Veranschaulichung des Tragens und Lastens, ablesbar auf der Fassade oder im Raum, disziplinieren weiter und bieten ebenfalls Wiedererkennungswert.

Ambitionierte Niedrigenergiekonzepte sind eher störend. Wie viel Energie verbraucht wird und wie viel der Betrieb so eines Riesenhauses dann kostet, interessiert die meisten Jurymitglieder sowieso nicht.

Das trifft auch auf soziale Belange zu. Wie stark sich ein Haus nach außen öffnet und zum Treffpunkt und Marktplatz werden kann, müssen dann wohl die Nutzer selber lösen. Aber ohne eine Narration geht es heute nicht. So können neue Häuser wie ein altes Industriegebäude oder ein historisches Bürohaus aus den 20ern, vielleicht den 30ern oder den 50ern aussehen. Wir leben ja in nachmodernen Zeiten. Dadurch verengen sich die architektonischen Möglichkeiten auf die feinen Unterschiede, auf Details. Wer sich zuerst bewegt, hat verloren.

Vereinfachung und Monumentalismus

All diese Ansprüche führen zu festen, eindeutigen, klaren, harten, kantigen Häusern, zu Vereinfachung und Monumentalismus. Bezüge auf die Geschichte sind wichtiger als die Erfindung neuer Formen. Wenn es unübersichtlich wird, nimmt die Sehnsucht nach einfachen Lösungen zu. Organisatorische Offenheit und formale Vielfalt sind dann nicht mehr gefragt. Viel zu häufig werden Entwürfe prämiert, die der Unübersichtlichkeit der Welt eine schwere, feste Trutzburg entgegensetzen. Dabei geht aber die Neugier und Heiterkeit, die Sinnlichkeit und Modernität verloren und Zynismus tritt an ihre Stelle.

Nicht mehr nach vorne gewandt, zuversichtlich und erfindungsreich, sondern affirmativ, populistisch, retrospektiv und monumental sehen viele neue Gebäude in Hamburg, Frankfurt, Berlin oder München aus. Das sind für mich die Vorboten einer rückwärtsgewandten, selbstbezogenen und begrenzten Welt.

Architektonische Entscheidungen sind immer auch gesellschaftliche Entscheidungen. Es geht darum, sich nicht in die Defensive drängen zu lassen, sondern auf Abschottung, Nostalgie und Verzagen mit Offenheit, Neugier und Mut zu reagieren.