Superhelden

Superhelden

Kolumne von Eike Becker, "Immobilienwirtschaft" 11/2016

Jeder Theaterintendant kann sich bei Amtsantritt sein Ensemble zusammenstellen. Nicht so der Senatsbaudirektor. Fahrlässig, wie die Politik diese lebensnotwendige Schlüsselposition immer weiter beschneidet.

Batman und Robin, Superman und Wonderwoman, The Incredibles und Ms. Marvel heißen sie in der Welt der Comics. Auch in der Immobilienwelt gibt es die Schutzpatrone ihrer Städte, die auf Jahre vorausdenken und unermüdlich für das Gute, Große, Ganze kämpfen. Im Meer der Städte, wo sich ständig wechselnde Regierungen, Oppositionen, Bürgerinitiativen, Investoren und nie wechselnde Verwaltungen tummeln, ist es ihre Aufgabe, dem Schwarm Richtung und Orientierung zu geben.

Ich spreche von den Baudezernenten, den Bau-, Oberbau- oder Senatsbaudirektorinnen und -direktoren. Große Titel, die von einer Machtfülle längst vergangener Zeiten zeugen. Die Geschichte ist reich an charaktervollen und streitbaren Persönlichkeiten auf dieser Position. Fritz Schumacher war ein mächtiger Mann. Ihm haben wir die bis heute andauernde – für mich unerklärliche – Begeisterung für den düsteren, Wind und Wetter trotzenden Klinker in Norddeutschland zu verdanken. Schumacher war ein moderner Traditionalist, der bedeutende Gebäude noch selber entwarf und viele Jahre als Oberbaudirektor Hamburg prägte.

Berlin hat neben dem großen Hans Scharoun auch Hans Stimmann hervorgebracht. Er hat das Nachwende-Berlin mit kadergeschulter Hand fest in die „Kritische Rekonstruktion“ geführt. Die Stadt sollte so eine Art Großlübeck werden. Auf der Biennale in Venedig war ich dabei, als er auf den Stufen des Deutschen Pavillons 2008 das Ende der Moderne ausgerufen hat. Von ihm ist auch der Satz überliefert:„Ich bin ein mächtiger Mann!“

Dabei wird eine Gefahr deutlich, die in ihrer herausragenden Position liegt. Batman kämpft immer allein gegen den Rest der Welt. Wenn aber Senatsbaudirektoren eine Stadt außerhalb von Film und Comic bewegen wollen, kann das nur während eines werbenden, möglichst nachvollziehbaren Entscheidungsweges geschehen. Ihr Wollen kann in einer pluralistischen Gesellschaft nur durch beste Argumente im Konsens mit vielen zur Tat werden.

Macht und Ohnmacht liegen eng beisammen

Auf der Expo in München habe ich drei der heute aktiven Superhelden getroffen. Ich hoffe, sie verzeihen mir diese Indiskretion. Über sie zu schreiben kann eigentlich nicht gelingen. Entweder ich verderbe es mir persönlich mit ihnen oder ich werde als Opportunist missverstanden. Trotzdem sind sie meine Superhelden der Immobilienwirtschaft. Ohne sie lässt sich nicht verstehen, wie unsere Städte wachsen.

Jörn Walter, Franz-Josef Höing und Regula Lüscher gehören zu den heutigen Superhelden. Beruhigend für mich zu sehen, wie intensiv, klug und selten verzweifelt diese drei Personen um das Wohl ihrer Städte ringen. Es gibt sie nur ganz selten, diese Mischung aus Verwaltungsbeamtem und Politiker, herausragend engagierte Fachleute in einflussreichen Positionen, Denker und Lenker ihrer Städte. Sie unterscheiden sich deutlich von den berufspolitischen Mandatsträgern, die häufig nur für kurze Zeit ihre Vorgesetzten sind.

Baudirektoren kennen ihre Stadt aus dem Effeff, respektieren die Geschichte und denken in die Zukunft. Einseitigkeit wäre in der politischen Waschtrommel ihr Untergang. Ich bin mit Jörn Walter verabredet. Er begrüßt mich mit freundlichem Lächeln, seine wachen Augen bringen uns genau an die angemessene Stelle zwischen Distanz und Nähe. Er jongliert gleichzeitig zwei Espressi auf eine Tischkante. Umströmt von Schulterklopfern und Händeschüttlern versuche ich mich zu konzentrieren. Er hat bereits neun Senatoren, drei Oberbürgermeister und sechs Senate erlebt. Sein Wissen und seine Erfahrung sind weltweit einzigartig. Die HafenCity und die IBA gehören zu seinen großen Erfolgen, die gestoppte Olympiabewerbung war sicher eine große Enttäuschung für ihn. Heute kann der Hamburger Oberbaudirektor natürlich nicht mehr selber bauen. Er ist eher ein Regisseur und Mediator innerhalb der durcheinanderwuselnden Meinungen und widerstreitenden Interessen. Seine Autorität erwächst aus seinem Wissen und seinem Wirken als kenntnisreicher Schützer des Hamburger Stadtbilds.

Seit 2012 ist Baudezernent Franz-Josef Höing zuständig für Stadtentwicklung, Planen, Bauen und Verkehr in Köln. Ein Glücksfall für die Millionenmetropole. Ich kenne ihn bereits aus Bremen, wo er als Senatsbaudirektor einer vor sich hin dümpelnden Stadt wieder Richtung und Orientierung verleihen konnte. Heute freut sich Höing über die rheinische Quirligkeit und versucht dieser großen Stadt wieder Ruhe und Festigkeit zu verleihen. Ihn interessiert die Förderung junger, talentierter, lokaler Architekturbüros genauso wie die Sanierung der maroden Rheinbrücken. Wenn am Ende eines langen Wettbewerbstages bei der Entscheidung für die Neubebauung des Deutzer Hafens 600 Menschen begeistert Beifall klatschen, ist das seine Anerkennung für beharrliche Überzeugungsarbeit.

Eigentlich ist die Herkulesaufgabe nur mit mehr Personal zu schaffen. Doch hier hapert es nicht nur in Köln. Über Jahre wurden in den Stadtplanungsämtern Mitarbeiterstellen abgebaut. Wenigstens das ist zum Stillstand gekommen. Aber im Wettbewerb mit der zahlungskräftigen Wirtschaft richtig gutes Personal zu finden ist auch für die Verwaltung eine Herausforderung. Regula Lüscher hatte sich als stellvertretende Direktorin in Zürich einen exzellenten Ruf erworben, als sie 2007 die Nachfolge von Hans Stimmann als Berliner Senatsbaudirektorin antrat.

Eine riesengroße Aufgabe

In ihre Zeit fällt die Hinwendung zu einer mutigen, zeitgenössischen Architektursprache. Auch das Baukollegium hat sie ins Leben gerufen. Aber Berlin macht es ihrer Ms. Marvel schwer. In der Stadt besitzen alle Bezirke eigene Stadtplanungsämter und auch die Bundesregierung setzt im zentralen Bereich ihre eigenen Themen durch. So ist zum Beispiel der Wiederaufbau des Stadtschlosses eine Bundesangelegenheit. Und Bebauungspläne werden in der Regel auf Bezirksebene aufgestellt. Gerade hier ist die Lücke zwischen den im Senat erkannten Bedürfnissen einer wachsenden Stadt und dem politischen Provinzialismus in den Bezirksämtern besonders groß.

Für jeden Theaterintendanten ist es selbstverständlich, dass er sich bei Amtsantritt sein Ensemble selber zusammenstellen kann. Nicht so für Senatsbaudirektoren, die als Beamte an die Richtlinien der Verwaltung gebunden sind und nur in Ausnahmefällen ihr Team nach eigenen Vorstellungen zusammenstellen können.
Für mich völlig unverständlich, wie Berlin, hier stellvertretend für viele andere Städte, mit seinen Zukunftsthemen umgeht. Geradezu fahrlässig, wie die Politik Stück für Stück diese lebensnotwendige Schlüsselposition immer weiter beschneidet. Tempelhofer Feld, Volksentscheid vergeigt. Internationale Bauausstellung, abgeblasen. Heute sollen die gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften riesige Quartiere entwickeln, aber, Hauptsache schnell, alles geht auch ohne Wettbewerbe.

Für die laufenden Koalitionsverhandlungen wünsche ich den Parteien eine Besinnung auf das, was wirklich nottut. Dazu zählt eine Strukturreform, die die Planungsaufgaben zwischen Bezirken und Senat neu regelt und die Stärkung der Position der Senatsbaudirektorin angeht. Denn auch eine Superheldin ist allein gegen den Rest der Welt machtlos.