Die teuerste Tombola der Welt

Die teuerste Tombola der Welt

Kolumne von Eike Becker, "Immobilienwirtschaft" 12/14-01/15

Wettbewerbe in ihrer bisherigen Form lassen die Architekten ausbluten. Die Partner müssen ihr Zusammenspiel neu justieren.

Deutschland hat wunderschöne Innenstädte! Viele sind stolz auf ihre Baukultur! Veränderungen am Stadtkern werden immer sorgfältiger geplant und intensiver abgestimmt. Dabei ist ein tieferes Verständnis für die Stadt als gesellschaftliches Anliegen entstanden.
Die Oper in Hamburg ist kein Wettbewerb. Aber die Hafen-City, der Potsdamer/Leipziger Platz in Berlin, die neue Altstadt in Frankfurt am Main, alles Wettbewerbe. Heute regieren politisch und architektonisch versierte Stadtbauräte. Sie sind die Supermen und Wonderwomen der Immobilienbranche. Über Wettbewerbe und Bebauungspläne mit städtebaulichen Verträgen sorgen sie dafür, dass kein Bauherr mehr machen kann, was nur er will.
Da Wettbewerbe von privaten Bauherren zumeist nicht gefordert werden können, geht der Deal wie folgt: Du, Bauherr, veranstaltest einen Wettbewerb, und dafür bekommst Du von uns möglicherweise ein höheres Baurecht. Der Wettbewerb kostet ja nicht viel! Etwa 1 Prozent der Bausumme. Die Architekten dürfen sich schon freuen, wenn sie auf den Listen der Stadtplanung stehen. Vielleicht werden sie ja für die nächste Tombola ausgewählt, die sie zwar selber bezahlen, aber nicht veranstalten.
Auch die Architektenkammern fordern Wettbewerbe. Die Gründe sind nachvollziehbar: Qualitätssicherung! Gerechteres Vergabesystem! Keine Mauscheleien! Junge Büros beteiligen! Etc. Wettbewerbe sind sinnvoll. Sie führen zu Auswahlmöglichkeiten und damit gewissen Qualitätssteigerungen. Vor allem führen sie durch eine Machtverschiebung vom Bauherrn zur Stadt zurück zu einer städtischen Kontrolle über das Baugeschehen. Aber für die Architekten sind sie oft ein wirtschaftlich gefährlicher Weg.

Eine Branche blutet aus!

Bis zu 50 Prozent der Leistungen eines Architekturbüros werden nicht bezahlt. Manche nennen das Reise nach Jerusalem, andere Wettbewerb. Die Architektenberufsverbände betreiben eine Politik auf Kosten des eigenen Berufsstandes. Weltweit offene, unbezahlte Wettbewerbe zu fordern erscheint schon für Außenstehende praxisfern. Eine Politik allein für die vielen Mikro Start-up Büros führt in der Konsequenz zu einer Entprofessionalisierung des eigenen Berufsstandes.
Denn es sind die Architekten, die einen grossen Teil ihrer Arbeitskraft, Lebensenergie und Finanzen mit unglaublichem Idealismus in diese Art von teurer Lotterie stecken. Durch diese Verfahren werden unsere urbanen Zentren tatsächlich besser. Aber das alles geschieht unter unsinnig hohem Einsatz der Architekten und zu einem gigantischen Preis! Das in Deutschland praktizierte Wettbewerbswesen ist ineffizient, nicht nachhaltig und brutal teuer für die Architekten. Statistische Gewinnaus-sichten eines hochqualifizierten Wettbewerbsbüros: 9 verlorene Wettbewerbe, ein 1. Preis, 13 verlorene Wettbewerbe, ein Auftrag!

Architekten können gut verlieren, können auch gut umsonst:

Diese Haltung führt zur Selbstausbeutung des Berufsstandes. Ein unglaublich hoher Aufwand mit hohen Gesamtkosten für die Architekten: Bei zehn teilnehmenden Architekten: 250.000 Euro. Der Bauher (50.000 Euro) und die Stadt (5000 Euro) kommen günstiger zum Ziel.
Die Last wird größer, denn die Anforderungen sind in den letzten Jahren enorm gestiegen. Der Aufwand für Erhalt und Entwicklung unserer Innenstädte kann nicht allein von Architekten getragen werden. Deutschland ist stolz auf seine Wettbewerbskultur. Doch die ist durch die Entwicklungen der letzten Jahre zu einer Ausbeutungskultur mutiert. Wie bei „Deutschland sucht den Superstar“, nur dass hier die Kandidaten die Sendung bezahlen.
Die Architekten haben sich durch das Wettbewerbswesen daran gewöhnt, dass ein großer Teil ihrer Leistung nicht bezahlt wird. Und wenn doch, dann mit Beträgen, die gerade für die Modellbauer reichen. Rein objektiv beste Lösungen gibt es in der Regel für eine Aufgabe nicht. Je nach Vorliebe des Baudezernenten schlägt das Pendel ziemlich unvorhersagbar für die Teilnehmer in die eine oder andere Richtung aus.

Die Verfahren werden kompliziert organisiert

Zunächst werden aufwändige, möglichst nichtssagende Ausschreibungen von Spezialisten erstellt. Aber die Beurteilungskriterien der Vorprüfung sind Schall und Rauch, wenn die Jury zusammenkommt. Zwischenpräsentationen, bei denen die Juroren zumeist nicht anwesend sind und die Rückfragen von anderen beantwortet werden, verwirren nur und sollten nicht allzu ernst genommen werden. Der Bauherr ist in der ungewohnten Situation einer Jurysitzung häufig den Profis taktisch und sprachlich unterlegen. Die tatsächlichen Beurteilungskriterien werden während der Jurysitzung spontan erarbeitet. Die Juryarchitekten diskutieren zwar wortgewaltig, wollen es sich aber nur ungern mit den Mächtigen verderben und suchen gerne gemeinsame Lösungen mit dem Baudezernenten.

Macht wird ausgeübt durch Rollenzuschreibungen. Es geht zu wie in der Oper. Die Architekten werden zu Bittstellern, die in der Regel geköpft werden, aus Bauherren werden Ping, Pang und Pong, die bei Hofe zu Wohlstand und Baurecht gelangen, die Juroren freuen sich, dass sie überhaupt im Chor mitsingen dürfen und die Baudezernenten entscheiden wie Prinzessin Turandot. Ziemlich anachronistisch, denn wir leben nicht mehr im Feudalismus. Deshalb möchte kaum einer heute bei der Ausübung von Macht als mächtig erkannt werden. Darum gibt es Ausschreibungen, Vorprüfungen, Auswahlkommissionen für die Teilnehmer, Kolloquien, Kollegien, Zwischenpräsentationen, Endpräsentationen, Workshops, Schulterblicke, Baukommissionen und Juries, um Macht unsichtbar werden zu lassen. Heraus kommt bei alledem viel zu oft rundherum abgestimmter Durchschnitt. Im Ergebnis geht es um die Vermeidung von Ausreißern nach oben und unten.

Der Zeitaufwand für die Beteiligten pro Wettbewerb ist sehr unterschiedlich verteilt:

• Baudezernent: 1 Tag.

• Jury: zusammen14 Tage

• Bauherr: 1 Monat.

• Architekten: jeder 3 Mannmonate, zusammen bei 10 Teilnehmern 2 1/2 Jahre.

Eine gewaltige Leistung, die zu 90 Prozent gemacht wird, um aussortiert zu werden! Das ist eine völlig inakzeptable Situation!

Wie könnte es besser laufen?

1. Ganz oben auf der Liste: Die so genannten Wettbewerbe sollten nicht weiter als Akquisition der Architekten diskreditiert werden, sondern müssen als urheberrechtlich geschützte Gutachten für sich auskömmlich bezahlt werden. Bei der Bemessung der Honorare sollten auch keine Studentenstundensätze zugrunde gelegt werden, sondern die von korrekt bezahlten Architekten in professionellen Büros.

2. Weiter sollten die geforderten Leistungen kritisch überprüft und radikal eingeschränkt werden. Denn wer braucht zusätzlich Tiefgaragenlösungen, wenn es eigentlich um die Fassade geht.

3. Auch der Aufwand für die Vorprüfung sollte radikal reduziert werden. Sie produziert häufig genug scheinbar objektive Vergleichsfakten, die von den entscheidenden städtebaulich architektonischen Kriterien ablenken.

Mir geht es dabei um Fairness unter den Planungspartnern. Die Gewichte sind deutlich zu Ungunsten der Architekten verrutscht und belasten diese so stark, dass sie nur noch mit Mühe ihren eigenen Ansprüchen und den für die Gesellschaft so wichtigen Aufgaben gerecht werden können. Die Baudezernenten, Architektenkammern und Bauherrenvertreter müssen deshalb das Zusammenspiel der Planungspartner neu justieren. Denn ein System, das den Idealismus, das Wissen und die unbedingte Leistungsbereitschaft der ambitionierten Architekten nicht honoriert, kann nicht gerecht und nachhaltig erfolgreich sein.