Think Tank

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Kolumne von Eike Becker, "Immobilienwirtschaft" 07-08/2017

Die Fragen sind vielfältig. Nur ganz unterschiedliche Akteure zusammen können sie beantworten. Eine Bauakademie könnte Treiberin werden für den dringend benötigten Struktur- und Kulturwandel.

Direkt an der Einfahrt zum Campus EUREF in Berlin befindet sich das Regler Haus. Ein winzig kleines, eingeschossiges Backsteinhäuschen mit Ziegeldach, ganz in der Industrietradition des 19. Jahrhunderts. Hier fand ich mich früh am Morgen mit brummendem Schädel und einer sich anbahnenden Grippe ein, um Teil der Jury zum Wettbewerb des ZIA-Innovationsberichts zu sein. Diesen Termin wollte ich nicht verpassen.

Immobilienleute tun sich ja schwer mit Innovationen. Die Branche bietet kaum Diversität, das Beharrungsvermögen ist groß. Wenn es um Neues geht, kommen Antworten wie diese: „In München werden einem Standardwohnungen aus der Hand gerissen. Wir brauchen dafür noch nicht einmal eine Marketingkampagne. Also, warum sollen wir da irgendetwas ändern?“ Übrigens behaupten nicht nur Außenstehende, dass die Immobilienwirtschaft nicht besonders innovativ ist.

Die Spitze des Eisbergs

Vermutlich hat der Zentrale Immobilien Ausschuss (ZIA) deshalb einen „Innovation Think Tank“ gegründet. Die Fontäne des Wales, das Epizentrum der Erneuerung. Deshalb mache ich mit bei dieser von Martin Rodeck geführten Spitze des Eisberges und werfe mich in die Bresche, haue mich rein für das Gute und Bessere. Wie können wir klüger und ressourcenschonender agieren, wie können wir den Planungs- und Meinungsbildungsprozess effizienter organisieren und dem Veränderungsbedarf nutzen, damit am Ende tatsächlich bessere Städte entstehen?

Auf dem Tag der Immobilienwirtschaft wird der „Innovationsbericht 2017“ vorgestellt. Darin hat der ZIA die aus seiner Sicht wesentlichen Treiber der Zukunft identifiziert: Das betrifft verändertes Nutzerverhalten (Wer geht mit mir in eine Alten-WG?), Ressourcenverbrauch (Soll ich mir einen dickeren Pullover anziehen?) und Energieneutralität (Die Dämmstärken liegen doch schon bei 40 cm!). Seit Jahren große Themen. Auch Serielles Bauen (Einmal denken, tausendmal handeln) und BIM (Ab jetzt keine Kollisionen von Rohren und Trägern mehr) kommen aus dem Inneren der Branche. Aber GreenTec (Grüne Supertechnologie-Unternehmen), also Smart Meter und Smart Grids zum Beispiel, oder die so genannte „Disruption von Intermediären“(Internet killt Makler), die fortgesetzte „Automatisierung und Vernetzung“ (Nie mehr Langweile), das „Internet of Things“(Wenn der Kaffee immer fließt), „Machine Learning“ (Wow, die Spracherkennung schreibt jetzt „Eike“, nicht „Michael“) und „Blockchain“ sind Themen, die von außen durch die Digitalisierung als Flutwelle auf die Branche zukommen und Riesenkräfte entwickeln werden.

Aber was heißt das genauer, was füllt diese Schlagworte mit Saft und Kraft? Ohne Soziale Medien, das mobile Internet oder Smartphone-Apps geht auch in der Immobilienwirtschaft bald kaum noch was. Neue Angebote und Geschäftsmodelle machen mächtig Druck (Mieten statt besitzen, teilen statt mieten). Gleichzeitig wächst die Bedeutung von alternativen organisatorischen Strukturen, wie dem gemeinnützigen Wohnungsbau, genossenschaftlichem Bauen und Crowdfunding. In meiner letzten Kolumne habe ich die wiederaufgebaute Bauakademie als ein Haus für demokratisches Bauen vorgeschlagen. Eine internationale Akademie, die die bauende Demokratie qualifiziert, ein überparteilicher Think Tank, der die unterschiedlichen Beteiligten zusammenführt und genau diese großen strukturellen Themen weiterdenkt.

Während in der Vergangenheit bei BIM noch „die Frage des ,Ob‘ diskutiert wurde, steht heute nur noch das ,Wie‘ der Implementierung im Fokus“, beschreibt Prof. Dr. Christian Glock, TU Kaiserslautern, den Umsetzungsstand. Jetzt geht es darum, nationale Standards zu vereinbaren. Das ist ein Thema für die Bauakademie. Mit der Forderung nach preisgünstigem und schnellem Wohnungsbau rückt modulares Bauen wieder in den Fokus. Dabei werden Baustoffe aus nachwachsenden Rohstoffen an Bedeutung gewinnen. Ökologisches Bauen mit hohem Vorfertigungsgrad ist schnelles und kostengünstiges Bauen. Aber das heutige Baurecht bildet die Leistungsfähigkeit des Baustoffes Holz nicht ab und muss unbedingt angepasst werden. Ein Thema für die Bauakademie.

Alles, was digitalisiert ist, kann auch über kurz oder lang gedruckt werden. Waffen, menschliche Organe, Häuser. Sinnvoll oder nicht, der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Auf den Baustellen dieser Welt sind noch keine Drucker zu finden. Das wird sich aber ändern. Ein Thema für die Bauakademie. Wenn mein Computer selbstständig Wissen aus Erfahrung generiert und lernt, wie mein Name geschrieben wird, nennt man das „Machine Learning“. Heute lesen selbstlernende Systeme etwa für Immobilienverwaltungen eine Vielzahl von Mietverträgen ein und machen dabei entscheidende Informationen sofort sichtbar.

So können auch Dokumente, Bilder, E-Mails und beliebige andere Datenformate in wesentlich kürzerer Zeit ausgewertet werden, als es Menschen können. Christof Hardebusch, Chefredakteur, Immobilienmanager, erwartet, dass dadurch auch viele Arbeitsplätze entfallen werden. Ein Thema für die Bauakademie. Die Digitalisierung bietet die Chance für eine ganz neue Generation nachhaltiger Neubauten, Altbauten und Quartiere: vernetzt, kreislauffähig, emissionsfrei und energieneutral. Aber die heutigen Anstrengungen reichen bei Weitem nicht aus, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Dafür bedarf es „politischer Rahmenbedingungen, die entsprechende Maßnahmen in größerem Umfang fördern, aber auch von der Industrie innovative Lösungen fordern“ (Dr Peter Mösle, Drees & Sommer Advanced Building Technologies). Ein Thema für die Bauakademie.

Andreas Göppel weiß, dass alleine mit Dämmung, anderen baulichen Maßnahmen und immer mehr Erneuerbaren das Ziel eines klimaneutralen Gebäudebestands nicht erreichbar ist. Die eingesetzte Energie muss deutlich effizienter genutzt werden. Greentec Unternehmen bieten dafür „klimaintelligente“ Steuerungen an. Smart Home, Smart Building, Smart Metering für ganze miteinander vernetzte Quartiere können optimieren und enorme Mengen an Energie sparen. Das alles voranzutreiben und zu beschleunigen ist ein Thema für die Bauakademie.

Durch die Entwicklung des Internets zum „first point of contact“ bilden Online-Makler bereits einen Großteil der Verkaufsprozesse ab. Kai Zimprich, Digital Services bei JLL, erwartet, dass dadurch traditionelle Immobilienmakler ihre Rolle als direkte Ansprechpartner verlieren werden. Das kann auch Handwerkern, Architekten, Ingenieuren und anderen Dienstleistern so gehen. Das zu regeln ist ein Thema für die Bauakademie.

Wenn der Service vom Gerät die Information erhält, dass die Druckerpatrone getauscht oder der Kaffeeautomat aufgefüllt werden muss, nennt man das: „Internet of Things“. „Industrie-Roboter können sich heute schon weitgehend ohne menschliches Zutun abstimmen, und Autos brauchen keine Fahrer mehr. Das Internet der Dinge ist somit die Grundlage der vernetzten Stadt, der Smart City“ (Martin Rodeck, OVG Real Estate). Das voranzutreiben ist ein Thema für die Bauakademie.

Die Baubranche ist in Bewegung geraten. 

Aber Fragen wie diese können nur von den unterschiedlichen Akteuren gemein-sam beantwortet und umgesetzt werden. Packen wir deshalb die große Aufgabe an, nutzen wir die historische Gelegenheit und gründen die Bauakademie neu! Die Akademie für demokratisches Bauen. Die wird dann auch in die Immobilienwirtschaft und in die Politik hineinwirken und tatsächlich einen dringend benötigten Struktur- und Kulturwandel herbeiführen.