Urbanes Arbeiten

Urbanes Arbeiten

Kolumne von Eike Becker, "Immobilienwirtschaft" 04/2016

Keine zugeordneten Arbeitsplätze mehr, keine lebenslangen Verträge. Dafür wird Zusammenarbeit wichtiger. Doch Neubauten sind oft nicht flexibel. Wie schnell Büroräume für heute von gestern sein können!

Die Wende am Büromarkt lässt sich an einem Datum festmachen: Am 27.2.2015 kann ich förmlich die Schiffshörner der Ozeanriesen hören, als die drei gut gekleideten Investoren aus Hamburg zur Tür hereinkommen. „Ja, wir wollen Ihr Bürohochhaus am Postbahnhof bauen. Wir kennen das Geschäft und glauben an Berlin. Den Vertrieb beginnen wir, wenn der Rohbau steht!“ Wie die ersten Schwalben im Frühling oder die ersten Frühblüher schon im Winter!

Rekorde

Seit der Lehman Pleite 2008 sind in Berlin keine Bürogebäude mehr ohne feste Vorvermietung gebaut worden! Gut für die Mutigen, die die Trendwende als Erste erkannt haben. Mittlerweile rauscht eine Großvermietung nach der anderen durch die Stadt. Zalando will sich auf 100.000 m² rund um die Mercedes-Benz-Arena ansiedeln, Allianz auf 50.000 m² in Adlershof.

Vermietungsrekorde purzeln, als wär’s die Olympiade. Wie Savills kürzlich mitteilte, wurden in Berlin 2015 rund 940.000 m² Bürofläche neu vermietet. Gegenüber dem Vorjahr ist das eine Steigerung von mehr als 20 Prozent. Das gab’s noch nie an der Spree! Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht in Sicht.

Umzug

Auch wir sind mit unserem Büro direkt betroffen. Die einst stolze GSW wurde von der Deutsche Wohnen geschluckt, die übriggebliebenen Mitarbeiter an einem Standort zusammen-gefasst und das schöne Hochhaus, in dem auch wir arbeiteten, an JP Morgan verkauft. Die konnten ihr Glück angesichts des Schnäppchenpreises für die „leerstehende“ Immobilie kaum fassen und vermieteten umgehend das 22.000 m² große Haus komplett an das Rocket Internet Imperium der Samwer Brüder. Für uns bedeutete das den Auszug.

Unsere Suche nach neuen Büroräumen gestaltet sich als schwierig. Die Besichtigungstouren geben Einblick in einen ausgetrockneten Markt. Das ist umso überraschender, standen doch vor fünf Jahren noch über eine von den 19 Millionen m² Büroflächen in Berlin leer. Bis heute hat sich der Leerstand mehr als halbiert. Die im Angebot stehenden Altbauten oszillieren zwischen Billigbausünden im Osten und wir-sind-von-einer-Mauer-eingeschlossen-und-können-nichts-dafür-Charme um den Ku’damm im Westen. Die Neubauten sind weder flexibel noch energetisch auf Stand. Wie schnell Büroräume für heute von gestern sein können!

Neue Arbeitsräume finden wir schließlich als Untermieter in dem schönen Tour Total, Architekten sind Barkow Leibinger. Direkt am Hauptbahnhof mit einem hervorragenden öffentlichen Verkehrsnetz sowie einer Vielzahl von Geschäften, Restaurants und Cafés drum herum. Die werden auch für Besprechungen genutzt. Nebenkosten halbiert, Miete verdoppelt. Klar, die starke Nachfrage führt zu steigenden Mieten. Lagen die Durchschnitts-mieten in Berlin 2011 noch bei zwölf Euro sind sie heute bei fast 15 € angekommen. Die Spitzenmieten liegen bei 23 €/m². Das ist schon hoch, ist aber im Vergleich zu München (47 €/m²), Paris (75 €/m²) oder London (195 €/m²) noch günstig.

Während des Ausbaus geraten wir in Panik: Unser Vermieter hat ein Intranet und der Internetanschluss hat für uns eine Übertragungsrate, die bei 5 Prozent unserer bisherigen Geschwindigkeit liegt. Und mobil telefonieren geht wegen der abschirmenden Sonnenschutz-Bedampfung auf den dreifachverglasten Scheiben im 15.OG auch nicht. Hiiilfe!!!
Zu unserer Erleichterung sehen zum Einzug die Räume ohne Teppich und Trennwände endlich wieder wie ein Rohbau aus, ein Loft, ein profaner, bescheidener Ort voller unterschiedlicher Kommunikations- und Arbeitsmöglichkeiten.

Das neue Viertel entlang der Heidestraße vor dem Hauptbahnhof zählt zu den innerstädtischen Erweiterungsflächen der Stadt. Noch wird hier der Tunnel für die S21 gebaut, aber weitere Hochhäuser sind um den Bahnhof möglich. Ich liebe diese Orte, an denen die Veränderungen des Stadtkörpers so sichtbar wer-den. Wenn sich dann der Verkehrsstau durch die Fertigstellung der ganzen Baustellen wieder aufgelöst hat, ziehen wir wieder weiter. Unsere Räume sind hell, lichtdurchflutet, ein großer Raum für alle, Blick über Berlin nach Osten, Süden und Westen. Alle Arbeitsplätze sind nahezu gleich ausgestattet. Auch mein eigener.

Ich versuche für alle überwiegend ansprechbar zu sein. Das Büro der kurzen Wege, alle auf einer Ebene, kaum Hierarchien. Die, die mehr wissen, stehen denen, die nachkommen oder schon länger dabei sind, mit ihrer Erfahrung zur Verfügung. Eine Art offener Campus für kontinuierliches Wissensmanagement und beständige Suche nach dem Gemeinsamen und Neuen. Eine Werkstatt, in der gemeinsam gebastelt, gedacht und ausprobiert wird. In der Mitte eine geräumige Küche, Anlaufstelle für alle.

Anders arbeiten

Mit der Digitalisierung und den sozialen Medien wird Arbeiten gerade wieder völlig anders. Neue Unternehmen mit veränderten Kulturen wimmeln durch die Stadt. Im Frühjahr 2016 gibt es etwa 6.000 Digital Start-ups in Deutschland, 2.000 davon in Berlin. Von den Top 50 schnell wachsenden Unternehmen in Deutschland sind zurzeit 32 in Berlin. Das summiert sich auf 300.000 neue Arbeitsplätze, wie es Engelbert Lütke Daldrup von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt ausdrückt. Die Protagonisten drängen in die zentralen, gewachsenen Lagen. Alles geht; nur nach Büro sollte es nicht aussehen. „Life is too short for a boring office“ ist die vollmundige Überzeugung von Mindspace, einem Büroanbieter, der seinen ersten Stand-ort in Berlin eröffnet. „Flexible monthly membership options. Stocked kitchens and stunning meeting rooms. 24/7 access.“

Der Wettlauf um die Talente ist zum entscheidenden Erfolgsfaktor geworden. Kaum ein Hochveranlagter geht freiwillig an die Peripherie. Die wollen in die Mitte der Städte, an die Kochstellen der Gesellschaft von morgen. Ach ja, die Umbauten im GSW-Hochhaus sind in vollem Gange: Anstelle der 200 PKW Stellplätze werden jetzt 1.000 Fahrradboxen in den Keller gebaut, im Erdgeschoss entstehen Cafés und Restaurants, und für die Dachterrasse mit der schönsten Aussicht von Berlin verschwindet die Technik.

Zurück zum Thema: Trennungen zwischen einzelnen Abteilungen, lebenslange Arbeitsverträge, zugeordnete Arbeitsplätze, das alles ist von gestern. Immer mehr löst sich auf, vieles wird unübersichtlicher und unschärfer. Umso wichtiger wird der Ort, an dem all das stattfindet. Immer stärker rückt die Zusammenarbeit in den Mittelpunkt. Zuvor getrennte Tätigkeiten und Orte werden miteinander gekreuzt oder verbunden. Arbeiten mit Wohnen führt etwa dazu, dass sich die Büro- der Wohnzimmereinrichtung annährt. Die Verbindung von Arbeiten und Hotel führt zu einer Willkommenskultur und zu Büros, die einer Hotellobby gleichen. Die Mischung von Arbeitsplatz und Werkstatt führt zu Highboards, Denkzellen und Telefonboxen. Die Verbindung von Büro und Jugendherberge führt zu einer hierarchiearmen Zusammenarbeit. Und die von Arbeits- und Sportplatz führt zu einer besseren Teambildung und der Vorstellung: „Gemeinsam sind wir stark“. Die Kombination von Arbeitsplatz und Landschaft führt heraus aus dem Bergdorf und hinein in die Weite der Ebene. Weg von den einzelnen Zimmern und hinaus in das freie Feld der offenen Büroflächen mit möglichst allen auf einer Fläche.

Die Art und Weise, wie wir arbeiten, verändert sich kontinuierlich und radikal. Die Räumlichkeiten hierfür stehen heute erst in begrenztem Maße zur Verfügung. Das zu ändern ist eine Aufgabe, die ganze Organisationen besser macht und vielen Einzelnen ein erfülltes, kreatives Arbeitsleben ermöglicht.