Vom Marktplatz der Getriebenen

Vom Marktplatz der Getriebenen

Kolumne von Eike Becker, "Immobilienwirtschaft" 11/2014

Expo Real: Regionen präsentieren sich wie Bräute auf dem Heiratsmarkt. Keiner weiß Neues zu berichten. Wie auch? Die Branche befindet sich im Würgegriff der Einfallslosigkeit...

Vom 6. bis 8. Oktober fand die 17. Expo Real mit 1.600 Ausstellern aus über 30 Ländern statt. Wie immer ohne Lon-don, Paris, Madrid, Rom, ... aber mit Moskau und 37.000 Teilnehmern. Davon gefühlt 36.000 Männer aus der Babyboomer Generation in dunklen Anzügen und zu engen Schuhen. Manche nennen sie auch Arbeitsmesse. Dabei darf der Vergleich mit der Mipim, der südfranzösisch mondänen, vorbildlichen Schwester-Veranstaltung in Cannes nicht fehlen. Hier Feldarbeit in trockenen Messehallen, dort Apassionata auf dem roten Teppich am Yachthafen.

Die Messe in München ist eine fein austarierte, deutschsprachige Kontakt-und Aufmerksamkeitsmaschinerie zwischen den großen Ständen der Regionen München, Frankfurt und Berlin. Unterstützt und im Wesentlichen bezahlt von privaten Standpartnern, präsentieren sich die Regionen wie Bräute auf dem Heiratsmarkt. Denn auch sie haben längst verstanden, dass der globale Wettbewerb um private Investitionen zum alltäglichen Geschäft gehört. Auf meine Frage an ein 40-köpfiges Dinnerpublikum am Abend des ersten Messetages weiß keiner etwas Neues zu berichten. Nichts Neues! Auf der größten Immobilienmesse Europas! Nichts! Die Frage kam für die Anwesenden völlig überraschend. Es hat auch keiner nach innovativen Ideen gesucht. Offensichtlich geht es hier um etwas anderes. Aber um was? Im Wesentlichen um netzwerken, Geschäftspartner finden, überzeugen und verbinden, gastgeben, immer wieder Cafe, Wasser, Wein, Bier, Prosecco trinken, vortragen, Investitionen finanzieren, Pakete kaufen, Objekte verkaufen, in Spitzenlagen investieren, Baurecht besprechen, Immobilien vermitteln, Projekte ausstellen, Broschüren verteilen, Visitenkarten tauschen, an Tischen stehen, an Tresen sitzen.

Und was waren dabei in diesem Jahr die Themen?

Wohnen, wohnen, wohnen: Die Renaissance der Innenstädte führt gerade zu erdrutschartigen Veränderungen in den Zentren. Und die meganiedrigen Zinsen sind wie Flammenwerfer im Flächenbrand. Beides zusammen hat zu einem Wohnungsbauboom geführt. Allein in Berlin werden dieses Jahr über 20.000 Anträge genehmigt und über 12.000 Wohnungen neu gebaut, wie Prof. Dr. Engelbert Lütke Daldrup, Staatssekretär für Bauen und Wohnen der Berliner Senatsverwaltung, voraussagt.

Durchmischte Immobilien: So geht Stadt! Auch heute. Die Städte wollen‘s, die Architekten machen‘s gerne, die Projektentwickler würden‘s, aber die Investoren hassen‘s. Gemischte Nutzungen machen die Verwaltung angeblich anstrengender. Deshalb geht‘s hier nicht so richtig voran. Sehr unflexibel, unglaublich schade!

Mikroappartments: Die Überlegung ist einfach. Keiner zahlt für einen Quadratmeter allein. Mieter brauchen eine ganze Wohnung und zahlen eine Wohnungsmiete. Je kleiner die Wohnung, desto günstiger die Miete. Da die Mieten wie bekannt rasant gestiegen sind, ist Wohnen für das Existenzminimum wieder ein Thema. Eine große moderne Motivation, wiederentdeckt.

Vorfertigungen: Goldbeck vorfertigt in Beton und baut so nicht nur Parkdecks ohne Architekten, sondern jetzt auch Bürogebäude. Mit Architekten! Die dürfen die Fassade entwerfen. Die Werkplanung können sie dann schon wieder ganz alleine.

Budgethotels: Ikea kann jetzt zusammen mit Marriot auch Hotel. Motel One auf schwedisch heißt Moxy. In vorgefertigter Brettschichholzkonstruktion aus Italien. Die kriegen 2000 Zimmer pro Jahr produziert. Bis zu sechsgeschossig, inklusive Brandschutz! Auch hier darf der Architekt die Fassade machen. Krass!

Was war kein Thema?

Russland. Die Messestände von Moskau und St. Petersburg waren, mit Ausnahme einer in russischer Sprache abgehaltenen Pressekonferenz, leer.

Frauenverachtung: Und das ist nicht nur ein russisches Problem. Die Branche ist von Machismen und durch Macho-Männer abgeschottet. Und deshalb für die allermeisten Frauen unattraktiv. Ein Desaster für die ganze Gesellschaft. Wieviel besser könnten Häuser und Städte sein, wenn auch Frauen mitsprechen würden!

Zynismus: Auf einem Podium geht es um Wohnen und Arbeiten in einem Haus. Schnell sind alle anwesenden Männer sich einig, das geht nur mit separaten Aufzügen. Warum? Ernstgemeinte Antwort: Sonst müsste ja der Rechtsanwalt mit der Mutter und dem Kinderwagen zusammen fahren! Unzumutbar!

Kapital: Es sagt an, wer verdient. Der Selbstwert vieler Branchenmitglieder wird über ihren monetären Gewinn bestimmt. Wer mehr verdient, verdient auch mehr Beachtung. Der fein abgestimmte Kreislauf gleich oder ähnlich starker Geschäftspartner ist dabei völlig aus den Fugen geraten. Stände von Generalunternehmern und Fachplanern sind fast nicht vorhanden. Können sie sich auch nicht leisten. Sie erwirtschaften zu wenig.

Architekten: In der hinterletzten Ecke haben auch die Architekten am Ende der Halle A2 ein kleines unbeugsames Dorf errichtet. Für 220.000 Euro einen Gemeinschaftsstand, organisiert von der Bundesstiftung Baukultur, der Bundesarchitektenkammer und der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen. Die Schönheit der Städte ist per se nicht auf der Agenda eines Bankers, Maklers, Projektentwicklers oder Investors. Sie wird gerne in Prospekten abgebildet.

Verantwortlich sind aber häufig die anderen. Die Architekten und Stadtplaner. Die individuelle Projektqualität wird in städtebaulichen Verträgen erzwungen und gesetzlich über das Baurecht der öffentlichen Hand und ihrer Genehmigungsbehörden durchgesetzt. Hadi Teherani hat zu diesem ganzen Treiben einen schönen Anzug ausgewählt, dunkelblau mit weißen Nähten und Knöpfen, Wolf Prix hab‘ ich nicht gesehen, Armand Grüntuch diskutiert über Werte und Verfahren auf dem Architektenstand, Matthias Sauerbruch entsendet Vertreter, Jürgen Meyer H. gewinnt hoffentlich gerade einen Wettbewerb, Jürgen Engel ist wie immer schon da, und Ruth Berkthold hat wie immer Spaß. Architekten kommen hier nur dann über die Rolle von Statisten hinaus, wenn sie die Wirkungsammenhänge dieser Spezialwelt kapieren und sich mit ihrer Persönlichkeit einbringen! Das ist nötiger denn je. Denn ihre Innovationskraft wird gebraucht! Unglaublich, dass sich die Architekten so an den Rand drängen lassen!!! Aber vielleicht haben die ja durch all die Wettbewerbe einfach keine Zeit mehr für solch ein Treiben!

Eine Branche im Würgegriff der Einfallslosigkeit 

Die gedankliche Krise der Banken, Versicherungen und institutionellen Investoren führt zur Krise der gesamten Immobilienbranche. Die steil ansteigende Migration in die urbanen Zentren, die immer größere Mobilität, die grundlegenden demographischen Veränderungen, die Miniaturisierung und Mobilisierung der Technik, die Energiewende und der damit einhergehende Umbau der Stadtgesellschaften erfordern grundsätzlich neue und bessere Lösungen in allen Bereichen der Immobilienbranche. Wer kann sich an ein Gespräch darüber auf der Messe erinnern? Kaum einer. Die allermeisten sind selber getrieben vom immer noch größeren individuellen Leistungsdruck. Anstatt kontinuierlich nach passenderen, neuen Lösungen zu suchen und diese einzubauen, bleibt es allzu häufig bei naiver Risikoabwehr und „weiter so“-Strategien.

Derzeit erleben wir das größte Konjunkturprogramm der deutschen Immobiliengeschichte: die historisch niedrigen Zinsen in einer noch dynamischen Wirtschaft. Wer diese extrem günstige Ausgangssituation nicht zur Anpassung an die geänderten gesellschaftlichen Bedürfnisse nutzt, wird das Versäumte sehr bald bitter bereuen. Denn: Weiter so wie bisher geht nicht mehr.