Mit schier übermenschlicher Wucht prallen im Olympiastadion Hymnen und Fahnen, Farben, Feuer und Rauch aufeinander. Beim Blick in das weite Rund werden in mir die Erinnerungen an unbeschwerte Tage auf dem Fussballplatz und die Freude über schöne Pässe in weitem Bogen quer über das Spielfeld lebendig. Wie konnte nur aus den kauzigen Sportvereinen meiner Jugendzeit so eine weltweit voranstürmende Traumfabrik werden? Kaum eine Branche macht die bestimmenden Motive unserer Gesellschaft so transparent, wie der Fussball: der Wunsch nach Identifikation mit einer Gruppe und die Teilhabe an Erfolg und Anerkennung. Millionen von Menschen fühlen sich am Montag besser, wenn ihr Team am Samstag gewonnen hat. Doch auch die Auswärtsniederlage ist im Kreis der Gleichgesinnten leichter zu ertragen. Und macht ab Mittwoch wieder Raum für die erneute Hoffnung auf den Sieg am kommenden Samstag. Ein gutes Training.
Immer mehr Manager haben verstanden, dass sie nicht nur ein Team zum Erfolg treiben, sondern hunderten von Angestellten und zehntausenden von Mitgliedern ihrer Vereine eine Kultur, eine Heimat, eine gute Vorstellung von dem bieten müssen, wie sie zusammen sein können. Jürgen Klopp hat das früh verstanden und vorgelebt. Als er übernahm, stand Mainz 05 vor dem Abstieg aus der 2. Liga und Borussia Dortmund vor der Pleite. Und beim FC Liverpool konnte sich kaum noch jemand an die ruhmreichen Zeiten erinnern. Die jeweiligen Erfolgsgeschichten sind tausendfach erzählt. Er kam als „The normal One“ und ging als vielbesungene Legende. Märchen unserer Zeit, kitschiger, als jeder Hollywood Streifen.
Mich interessieren aber die unzähligen Dankesbriefe und Videobotschaften der Fans, denen er über Jahre Hoffnung, Respekt, Wille, Leidenschaft und Hingabe vorgelebt hat, im Erfolg und im Misserfolg. Er hat ihnen gezeigt, wie wichtig sie als Supporter im Stadion mit ihren Gesängen sind. Denn erst die Anhänger, die Mitglieder der Vereine, machen aus dem sportlichen und kapitalistischen Ehrgeiz einer kleinen Gruppe eine gesellschaftlich relevante Angelegenheit. Der Zweck des professionellen Fussballs kann als Spielwiese eitler Funktionäre, gieriger Kapitalgeber, berechnender Werbetreibender, opportunistischer Politiker und gewalttätiger Schlägertruppen verstanden werden. Aber darüber hinaus bietet der Sport Millionen von Menschen die Möglichkeit, Teil einer Gruppe zu sein und das Auf und Ab von Sieg und Niederlage gemeinsam zu erleben. „You‘l never walk alone“. Ein gesellschaftliches Bedürfnis, das zwischen Vereinszugehörigkeit und Fremdenhass, Spielfreude und Kommerz immer wieder auszutarieren ist.
Insbesondere heute, in einem Land, in dem „Verlustängste“ und „wirtschaftlicher Abstieg“ die Schlagzeilen beherrschen und allgemeine Niedergeschlagenheit wenig Aussicht auf Besserung verbreitet, ist der Glaube an die eigenen Möglichkeiten hilfreich.
Denn auch der glanzvolle Double Sieger der Saison, der mit seinem variablen und klugen Spiel bis an Europas Spitze stürmte, musste noch vor gut einem Jahr gegen den Abstieg kämpfen. Xabi Alonso, Simon Rolfes und ihr Team haben das geschafft, was viele Unternehmen in der Immobilienwirtschaft als scheinbar unüberwindliche Aufgabe noch vor sich haben. Der Verein hat in einer bedrohlichen Lage eine „unkonventionelle Lösung“ gefunden und einen kaum erfahrenen Manager eingestellt. Der hat dann „Mut gezeigt“ und einen ebenso unerfahrenen, aber innovativen Trainer mit der wichtigsten Aufgabe im Verein betraut.
Die Immobilienwirtschaft durchläuft bereits das dritte Krisenjahr, vergleichbar mit dem FC Liverpool der 90er. Die Erinnerungen an den Wiederaufbau nach dem Mauerfall sind verblasst. Der Abstieg scheint wie bei Mainz 05 unausweichlich. Und wie bei Borussia Dortmund ist kein Geld für Verstärkungen vorhanden.
Die Immobilienwirtschaft muss keine Pokale gewinnen. Sie muss passende Wohnungen bauen, die sich die Menschen leisten können, und Bürogebäude, die nachhaltig sind. Sie hat die Kreislaufwirtschaft einzuführen und die Digitalisierung nutzbar zu machen. Und ganz sicher wird das nicht mit den Strategien der Vergangenheit gelingen.
Jürgen, Xabi und Simon konnten enorme Widerstände überwinden und den Trend umkehren. Weil sie den Status quo nicht akzeptiert haben und mutig immer wieder neue, bessere Lösungen gesucht und gefunden haben. Sie haben nicht nur von der Revolution gesprochen, sondern sie auch durchgezogen.
Vorbilder und Mutmacher, auch für die Immobilienwirtschaft.