Die Karten muss man Monate im Voraus reservieren. Auf die Alhambra in Granada kommt nur, wer ein Ticket mit seiner Ausweisnummer vorweisen kann. Wer das aber geschafft hat, darf sich ganz der Finesse und der Schönheit der einstmaligen Zivilisation der Nasriden hingeben. Die sechs Jahrhunderte nach ihrem Untergang immer noch strahlt und leuchtet und ihren Besuchern zeigt, wie schön sie sein kann, diese paradiesische Welt aus plätschernden Wasserspielen und Stalaktitengewölben, Hufeisenbögen, filigranen Flachreliefs und der schönsten Schrift der Welt.
Sie zeugt von der kulturellen Blütezeit, die durch die Verbindung islamischer, christlicher und jüdischer Einflüsse während der Phase relativer Koexistenz, der convivencia, entstehen konnte. Als Weltkulturerbe zeigt die Alhambra Jahr für Jahr Millionen von Besuchern das faszinierende islamische Erbe Europas.
Im Jahr 711 war es durch Zufall und Entschlossenheit einem kleinen Häuflein Berber aus Nordafrika gelungen, die damals auf der iberischen Halbinsel Ton angebenden Westgoten zu besiegten.
In den folgenden Jahrhunderten errichteten ihre Nachfolger das Kalifat von Cordoba, bauten Verteidigungsanlagen, Paläste, Bibliotheken, Moscheen und gründeten Städte. Unablässig waren sie damit beschäftigt, die bessere Glaubensrichtung zu finden und die Abweichler, Rivalen und Nachbarn, Christen oder Muslime, zu bekämpfen.
Das Bild La Rendición de Granada des Malers Francisco Pradilla y Ortiz zeigt Mohammed XII auf seinem Rappen, wie er die Schlüssel der Alhambra, der letzten muslimischen Bastion auf der iberischen Halbinsel, an Ferdinand II und Isabella I, dem siegreichen katholischen Königspaar, übergibt. Das Bild dieses geschichtlichen Augenblicks wurde zum Symbol für die Schaffung der „Einheit, Größe und Freiheit“ Spaniens. Das war 1492.
Ferdinand und Isabella waren es auch, die im selben Jahr Christoph Kolumbus mit seinem Reisebudget ausstatteten, um über den Atlantik den Seeweg nach Indien zu finden. Seine Entdeckung rückte Spanien in den Mittelpunkt der Erde und war die Geburt eines Weltreiches, in dem „die Sonne nie untergeht“. Die goldenen und silbernen Altäre in den Kathedralen von Sevilla türmen sich heute noch eindrucksvoll bis in den Himmel und zeugen von der Zeit, in der die Conquistadores und Vizekönige in Übersee ihre grausamen und korrupten Systeme etablierten, die noch nach Jahrhunderten die dortigen Gesellschaften traumatisieren.
Mit dem Sieg der Katholiken über die Nasriden nahm auf der iberischen Halbinsel die heilige Inquisition, Ermordung, Enteignung, Vertreibung, Zwangskonversion aller Andersgläubigen Fahrt auf. Die Idee der Homogenisierung wurde zum wütenden Wahn. Die mühsam gesammelten Bücher der griechischen, jüdischen und islamischen Autoren wurden aus den eroberten Bibliotheken entfernt und verbrannt. Viele der Seidenweber, Reisbauern, Gärtner und Mathematiker flüchteten oder wurden vertrieben. Damit brach auch das landwirtschaftliche Bewässerungssystem in der Region zusammen.
In der Gluthitze des andalusischen Sommers wird spürbar, wie entscheidend die Distribution von Wasser für jede Zivilisation ist. Die Errichtung und Instandhaltung der Be- und Entwässerungssysteme ist Teil einer zivilisatorischen Leistung, die den Palästen und Moscheen ebenbürtig ist. Ohne sie keine Landwirtschaft, keine Ernten, keine Städte, keine Bibliotheken, keine Baukunst. Am Wasser hängt auch heute noch alles.
Diese komplexen Infrastrukturen können nur errichtet und unterhalten werden, wenn viele unterschiedliche Menschen strukturiert, bescheiden und respektvoll voneinander lernen und zusammenarbeiten.
Bei der recht populären Analyse des eigenen Genoms auf der Suche nach der eigenen Identität wurde zur Überraschung Vieler offenbar, dass heute Rund ein Drittel der Spanier Gene besitzen, die auf eine jüdische oder muslimische Herkunft zurückzuführen sind. Also auf die Omajaden, Abbasiden, Nasriden und sephardischen Juden, die bis zur Inquisition in großen Teilen der iberischen Halbinsel beheimatet waren. Und deren gespenstische Geschichte so lange vergessen, verdrängt und verdreht wurde.
Das Fremde ist verwoben mit dem Vertrauten, das Andere mit dem Eigenen. Und wird in der vielfältigen Mischung unterschiedlicher Traditionen, Formen und Stile, hier deutlich, dort vage, Teil der eigenen Identität.