Die Kolumne. Eike Becker: Richtung Zukunft durch die Nacht

Die Kolumne. Eike Becker: Richtung Zukunft durch die Nacht 02/2025

Wer an öffentlichen Veranstaltungen teilnimmt, hört von ambitionierten Werten und Zielen auf allen Ebenen. Aber wie wird aus Idealismus die Handlungsmacht und der Umsetzungswille, der dieser Idylle tatkräftige Wirkung verleiht?

Es gibt eine Institution in Deutschland, die sich auf vielen Ebenen für gutes Bauen einsetzt: die Bundesstiftung Baukultur. Alle zwei Jahre verfasst sie einen ausführlichen Bericht. Der aktuelle hat unsere Infrastruktur thematisiert. Jetzt geht es um Gestaltung und Prozesse. Es ist nicht egal, wie‘s aussieht. Und wie es entsteht.

Dazu wurde auf dem Pfefferberg in Berlin eine vorbereitende Werkstatt durchgeführt. In den Räumen der Aedes Galerie, selbst eine legendäre Institution, dokumentieren die Fotos von berühmten Architekten bei den Ausstellungseröffnungen ihre internationale Wertschätzung.

In den Stunden intensiver Arbeit mit Planenden und interessierten Bürgen an den unterschiedlichen Werkstatttischen entstanden lange Listen mit Ideen.

Ambitionierte Werte und Ziele wurden genannt: Demokratisch soll die Stadtgesellschaft sein, gerecht, nachhaltig und sozial, ein gutes Leben für alle bieten, gemeinwohlorientiert, aber auch interdisziplinäre und niedrigschwellige Entscheidungsprozesse haben. Gerechtere Besitzverhältnisse standen auch an der Tafel.

Die einzelnen Quartiere und Häuser sollen langlebig, anpassungs- und kreislauffähig, einfach, behaglich, günstig und katastrophensicher sein.

Am Ende des Tages ging ich nachdenklich nach Hause. Mich begeisterte der Idealismus. Aber wie wird daraus die Handlungsmacht, die Vision, der Umsetzungswille, der dieser Idylle tatkräftige Wirkung verleiht? Wo geht’s hier „Richtung Zukunft durch die Nacht“, wie Nena es formuliert.

Die Rechtsstaaten und das regelbasierte, internationale Miteinander brauchten Jahrzehnte, um bis hierher zu kommen. Sie erscheinen heute fragil. Umso wichtiger ist es, Fakten von Fiktion zu trennen, die eigenen Werte und Überzeugungen zu vertreten und an ihrer Weiterentwicklung zu arbeiten. Und, trotz der anspruchsvollen Sachverhalte, nicht akzeptieren, dass die Diskussionen mit zu einfachen Lösungen verstopft werden. Sondern die tatsächlich machbaren Fortschritte zügig realisieren.

Denn alles ist geplant, gebaut, verfällt wieder, wird abgerissen und wieder aufgebaut. So weit das Auge reicht ist die Welt, in der wir leben, von Menschen gemacht. Aber erfolgreiche Städte entstehen nicht einfach so. Sie erwachsen nicht plötzlich aus Deals zwischen einzelnen Parteien, sondern sind das Ergebnis von vielfältigem, abgestimmtem und kompetentem Handeln vieler. Erst wenn die Strukturen und Prozesse dafür funktionieren, kann das gelingen. Dazu zählen die Universitäten, Hochschulen und Handwerkskammern, die aus- und weiterbilden, die öffentlichen Institutionen, die Ansprüche des Rechtsstaates durchsetzen, die privaten Unternehmen, die im verlässlichen Umfeld ihre Vorhaben realisieren können, DIN-Ausschüsse, Medien und, last but not least, engagierte Bürger, die sich einmischen und ihr Gemeinwesen gestalten.

Ich mag, trotz aller Verzweiflung an vielen Stellen, dieses Land. Es steckt voller Visionen, Werte, Gerechtigkeit, Respekt, Ehrlichkeit und quicklebendigen Menschen, Organisationen und Unternehmen, die viel darüber wissen, wie gute und noch bessere Lösungen aussehen. 

Auch ihre Ziele sind beeindruckend visionär und ambitioniert: Dass wir nachhaltig Strom und Wärme erzeugen, ohne damit die Leben unserer Kinder und Enkel zu ruinieren. Dass in wenigen Jahren Millionen von Unternehmen erfolgreich und insgesamt klimaneutral wirtschaften. Dass der Staat mit seinen Institutionen auf allen föderalen Ebenen agiler wird. Dass die europäische Integration vorangetrieben und die gemeinsamen Institutionen handlungsfähiger werden. Dass KI-Systeme entwickelt werden, die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit respektieren und fördern. Dass die europäischen Demokratien dort, wo sie es noch nicht sind, wehrhaft werden, um sich zu behaupten.

All das ist Teil einer Gesellschaft, die so ambitioniert und idealistisch ist, dass sie das für selbstverständlich hält. Und vielfach an ihren Visionen und hohen Ansprüchen verzweifelt.

Gute Gestaltung gibt es aber nicht ohne den Willen zur Einflussnahme, zur Tat. Zur effizienten Verbesserung bestehender Lösungen und zur entschiedenen Zurückweisung schlechter Vorschläge.

Mit einer Vorstellung von dem, wie die Welt sein sollte. Die Wege dahin sind auch an den Werkstatttischen der Bundesstiftung genannt: Zusammenarbeit intensivieren, Kompetenzen einbinden, Entscheidungsprozesse fokussieren und schneller ins Machen kommen.

Und politisch Einfluss nehmen. Denn wenn die, die es wissen, sich nicht tatkräftig engagieren und politisch einbringen, können Städte und Gesellschaften nicht gelingen.