Die Kolumne. Eike Becker: Strukturen und Prozesse 05/2024

Die Kolumne. Eike Becker: Strukturen und Prozesse 05/2024

Am Wochenende nach den Wahlen in den USA und dem Scheitern der Ampel in Deutschland wird klar, dass dieser 7.11.24 als Gamechanger in die Geschichte eingehen wird. Abrisshammer und Wolkenkuckuksheim, kruder Neustart dort und dramatischer Systemabsturz hier. Oder umgekehrt. Denn weder populäres Strohfeuer noch bissige Schuldzuweisungen werden den fundamentalen Problemen beider Länder gerecht. Die Aufgabe, die ansteht, ist nichts weniger, als ihre Neuerfindung.

Das Leben gleicht häufig einem Knäuel aus gegensätzlichen Ansprüchen, unentwirrbar und ohne erkennbare Stabilität und Ordnung.

Es sind aber gerade die Strukturen und Prozesse, die unserem Denken und Handeln Halt und Orientierung geben. Um ihre Leistungsfähigkeit zu erhalten, müssen sie immer wieder an die aktuellen Entwicklungen angepasst werden. 

Wenn Wohnungen nicht gebaut werden, Büros leer bleiben, Subventionen nicht motivieren, Gerichte kaum Recht sprechen, Forschung, Entwicklung und Produktivitätszuwächse ausbleiben, die Infrastruktur zerbröselt und Überregulierung allgemein beklagt wird, ist es höchste Zeit, massive Strukturreformen anzugehen.

Städte sind so ziemlich das komplizierteste, was Menschen zu Stande gebracht haben. Eine Vielzahl von technischen Fähigkeiten und wissenschaftlichem Sachverstand muss zusammenkommen, um dabei halbwegs erfolgreich zu sein.

Im September fanden in Bad Aibling die Baukulturtage statt. In kurzweiligen Vorträgen erläuterten Florian Nagler, Thomas Auer, Elisabeth Endres und Amandus Samsøe Sattler ihre schönen und gelungenen Modellvorhaben zur Wärmewende. Die soll den Gebäudebestand in Deutschland bis 2045 klimaneutral machen. Ein sehr ehrgeiziges Vorhaben, bei dem enorme Ressourcen, viel Zeit und Lebensenergie eingesetzt, aber auch leicht verpulvert, fehlgeleitet und verschwendet werden können. 

Um aus diesen Modellvorhaben eine erfolgreiche, nationale Reformbewegung zu machen, braucht es mehr, als besonders begabte Einzelpersonen. Es sind die guten Strukturen, die Prozesskultur und gute Institutionen, die das möglich machen können. Wie Entscheidungen getroffen werden, wer und wieviele Personen dabei eingebunden sind und ob ausreichend Sachverstand involviert ist, entscheidet auf allen Ebenen über Erfolg oder Misserfolg.

Das beginnt bereits bei der Besetzung wichtiger Positionen. Ist es die Bürgermeisterin, die sich für ihre Freundin als neue Baudirektorin entscheidet? Oder der Bundeskanzler für seine loyale, aber unerfahrene Parteifreundin als Bauministerin? Weil solche Positionen wirkmächtiger sind, als so manch andere Politiker, sollten Städte den Ehrgeiz haben, wie ein Bundesliga Verein bei der Trainersuche, den besten Kandidaten für sich zu gewinnen. Ein sorgfältiges Auswahlverfahren, könnte durchaus angemessen sein.

Ich halte es für sinnvoll, zunächst eine kompetente Kommission einzusetzen, die potentielle Personen vorschlägt und eine weitere Kommission, die die Auswahl trifft. Ich habe mehrfach erlebt, wie erfolgreich das im Kunstkontext bei der Auswahl von Kuratoren gewesen ist.

Um schneller und handlungsfähiger zu werden, müssen die öffentlichen Institutionen wie Stadtplanung, Bauaufsicht und Verkehrsplanung kompetenter und entscheidungsfreudiger aufgestellt werden. Dafür müssen attraktivere Positionen geschaffen werden, die auch Führungspersönlichkeiten ansprechen. Denn kaum ein schlauer und tatkräftiger Kopf möchte zwischen fest geschmiedeten Hierarchien stecken bleiben.

Die größeren Städte haben zumeist Stadtbauräte, die sich Beiräte aussuchen, Werkstätten veranstalten und Entscheidungsprozesse fachlich gut begleiten. Die meisten Kommunen haben diese Strukturen aber nicht. In den Ämtern fehlt dann die Bauherrenkompetenz und das baukulturelle Wissen. Vielfach sind die wenigen Stellen von Parteifreunden besetzt. 

Dann purzeln in den Prozessen die unterschiedlichen Planungsschritte durcheinander, Prioritäten werden falsch gesetzt und diverse Kompetenzen rangeln ohne Führung durcheinander. Und beim Wähler entsteht der Eindruck, die quatschen nur, beschäftigen sich miteinander und gehen die fundamentalen Probleme nicht an.

Sie wählen dann eine andere Regierung, die erneut die Hoffnungen enttäuscht und mit noch größerer Verzweiflung wieder abgewählt wird. Kaum einer erkennt, dass es die Strukturen und Prozesse sind, die auf so vielen Ebenen nicht mehr funktionieren. Die müssen reformiert werden.