KI in der Immobilienwirtschaft - Ein Zwiegespräch zwischen Gastdozent & Ex-Student

KI in der Immobilienwirtschaft - Ein Zwiegespräch zwischen Gastdozent & Ex-Student

Ich war zu Anfang kein eifriger Student. Zumindest in meinem ersten Bachelor an der Uni Regensburg im Fach BWL mit Schwerpunkt Immobilienwirtschaft an der IREBS. Teilweise war der Vorlesungsbesuch erratisch und Zwiegespräche mit meinen Kommilitonen in der WiWi-Cafete spannender. Projektentwicklung 1 bei Prof. Bone-Winkel war eine der Ausnahmen. Und in diesem Zuge fand auch eine Gastvorlesung des bekannten Architekten Eike Becker statt. Gefühlt 50% von uns wollten ja schließlich auch Developer werden und architektonisch wertvolle Landmarks projektieren oder interessante Areale revitalisieren. Und so habe ich Eike Jahre später angeschrieben und meinte, ob wir als zwei innovations-affine nicht mal sprechen wollen. LinkedIn sei Dank. So landeten wir nach ersten Gesprächen bei diesem Zwiegespräch, an dem wir Sie/Euch teilhaben lassen. Nicht in der WiWi-Cafeteria, sondern dem New Normal entsprechend virtuell. Passend zum virtuellen Medium geht es um Künstliche Intelligenz, den Hype um ChatGPT beziehungsweise Sprachmodelle und die Auswirkungen auf die Immobilienwirtschaft.

 

Viktor: Wann hattest Du den 1. Aha-Effekt mit KI?

Eike: Bei einer Darmspiegelung, kurz vor der Ohnmacht, höre ich den Arzt gut gelaunt: „Ah, da meldet sich die KI, ja, da ist noch etwas, das ich übersehen habe! Schwupp, ist es weg!“ Das war vor einem Jahr.

Viktor (mit einem Lachen): Guter Einstieg ins Thema. Meinen Vater, der Arzt ist, freut das sicher. Hattest Du so ein Erlebnis auch bei der Arbeit?

Eike: Ich habe mir sagen lassen, dass sich 95 % der KI- Forschung damit beschäftigt, Menschen gesünder zu machen und ihr Leben zu verlängern. Einer meiner Mitarbeiter schrieb kürzlich ein besonders elegant formuliertes Protokoll. Er wurde von einem Textgenerierungsmodell (Natural Language Processing) unterstützt. Zu unserer Belustigung fragte er Chat GPT von OpenAI, ob Eike Becker Populismus als Stilmittel in seinen Kolumnen verwendet. Die Antwort bestand aus eloquent formulierten, freundlichen Worthülsen. Mittlerweile haben wir beim Entwurf eines Innenraumes mit AI gearbeitet und auf der Grundlage von Raumabmessungen, Budget, Farben, Stilen und Möbeltypen Vorschläge machen lassen. Wir haben mit der KI-basierten Technologie namens Computer Vision ziemlich systematische Wohnungsgrundrisse entwickelt und zuckersüße Visualisierungen erstellt. Das entspricht heute nur zum Teil unseren Ansprüchen, entwickelt sich aber in bisher ungekannter Geschwindigkeit weiter. Mithilfe eines Text-to-Image AI Generators von Midjourney, DALL-E 2 oder Stable Diffusion werden in Minuten aus Worten Bilder. Das geht spielerisch. Auf allen Feldern erwarte ich Veränderungen in unserer Arbeitsweise. KI kann aus einem Meer von Bekanntem etwas zusammensetzen und rasend schnell effizienter machen. Machine learning ist eine gute Bezeichnung dafür. Alle Aufgaben, ob eher langweilig oder eher kreativ, werden in Kürze mit der Unterstützung von KI bearbeitet.

Aber du bist ja viel näher dran am Thema, Viktor. In welche Richtung entwickelt sich KI deiner Meinung nach?

Viktor: Ihr solltet die Frage heute wiederholen. Da die Sprachmodelle sich von Version zu Version substanziell verbessern. So hätte die Frage, ob Lemuren, die mit ausreichend Früchten versorgt werden, gerne Überstunden im Büro machen, bei GPT-3 noch zur Antwort führen können, dass Lemuren gerne Überstunden im Büro machen, wenn sie nur ausreichend Früchte bekommen. Beim darauffolgenden Modellupdate wäre so eine Suggestivfrage nicht mehr so erfolgreich gewesen. Da würde dann die Antwort beispielhaft wie folgt lauten: “Lemuren arbeiten als Tiere nicht im Büro.” Das heißt, die Modelle lernen in rasender Geschwindigkeit, viel schneller als gedacht. Jedes Benchmark wird immer schneller und besser gemeistert. Jetzt werden erstmal sämtliche Anwendungen, die von KI profitieren, also alles, was Daten verarbeitet, mit KI ausgestattet, der OpenAI API und anderen Large Language Modellen sei Dank.

Eike: Das ist amüsant und erstaunlich zugleich. Hast du schon mit solchen Modellen gearbeitet?

Viktor: Ich habe z.B. letzte Woche an einem Nachmittag mit Hilfe von ChatGPT ein Tool gecoded, wofür ich noch vor wenigen Monaten sicherlich dreimal so lange gebraucht hätte. Wir werden das Tool bei Acquirepad einsetzen, um Verkäufern von Immobilien noch bessere Informationen zu den Unternehmen zu hinterlegen, die sie zu einer Transaktion einladen.

Eike: “Das klingt gut und positiv, aber siehst du auch Risiken?”

Viktor: Dabei sehe ich das Risiko, dass die KI-Lösungen von Anbietern wie  Microsoft, Alphabet, Tencent, Alibaba, Baidu oder Meta unter die Rubrik “Winner takes all” fallen und die Unternehmen ein kaum zu überwindendes Oligopol aufbauen. Auch das gehört zur aktuellen KI-Entwicklung dazu. Andererseits gibt es auch sparsame Sprachmodelle, die Open Source sind und diese Entwicklung vielleicht verhindern können. Bleibt also spannend. Nutzen erstmal die meisten Menschen und Unternehmen eine API von einem Anbieter bzw. wenigen Anbietern, um ihre Anwendungen mit KI auszustatten, füttern sie Trainingsdaten und begeben sich in einen “Lock-In”. Auch muss man feststellen, dass gerade die vorherig genannten Unternehmen proprietäre Nutzungsdaten aus ihren bisherigen Anwendungen generiert haben, die sonst keinem zur Verfügung stehen.

Eike: Du erwartest, dass kleinere Unternehmen, z.B. aus der Immobilienwirtschaft, nicht mehr mithalten können.

Viktor: Startups und weniger datenorientierte Unternehmen kommen dann nur sehr schwer hinterher. Sie besitzen nicht die Daten, die Budgets, das geistige Eigentum und die Talente in wettbewerbsfähiger Anzahl. Ich sehe aber die Option, neue Verfahren zu entwickeln, die datensparsamer und ähnlich gut oder noch besser sind. Regulatorisches Eingreifen erachte ich aktuell nicht als sinnvoll, sondern eher innovations-hemmend. Das wäre lediglich ein letztes Mittel, wenn es zur faktischen Bildung von Oligopolen oder Monopolen käme. Das ist meine Sorge in dieser spannenden Zeit, die mich immer wieder beschäftigt. Dennoch sind die Produktivitätsgewinne und die Implikationen auf Forschung, Konsum, Gesundheit, Jobs und Umwelt nicht aufzuhalten. Was löst das in Dir aus?

Eike: Viktor, du fürchtest, wie die meisten Experten, die Googles, Microsofts, Tencents dieser Welt werden durch KI so rasend schnell klüger, dass sie sich einen uneinholbaren Vorteil verschaffen. Solltest du Recht behalten, hoffe ich, dass die USA und Europa diese Monopole entflechten. Aber möglicherweise wird es anders kommen. Jürgen Schmidhuber, Direktor beim IDSIA, geht davon aus, dass KI in Kürze sehr billig sein wird. So billig, dass sich alle diese Technik leisten können und dann auf vielfältigen Ebenen für sich nutzbar machen. Das gefällt mir. Allein die Chance, dass diese neuen Besen uns Zauberlehrlingen helfen könnten, die Welt besser zu machen, gibt mir Hoffnung. Die gesamten 25.000 Gesetze, Normen und Regeln, z. B., die das Bauen in Deutschland vorschreiben, sind jedenfalls in kürzester Zeit hochgeladen. Daraus lassen sich wieder viele nützliche Anwendungen ableiten.

Viktor: Gute Punkte. Und ich glaube auch, dass es viele neue Geschäftsideen geben wird. Meine Aussagen haben sich primär auf die Grundlagenmodelle bezogen, die dann für neue Lösungen herangezogen werden können.

Weiter geht es mit dem zweiten Teil des Gesprächs.

Viktor: Du hast ja im ersten Teil das Thema Regulatorik für den Bau angesprochen, wo wir sicher noch z.B. bei Genehmigungen und Planung automatisieren können. Daher die Frage was Deine Erwartungen z.B. an KI in der Architektur sind?

Eike: Die Ansprüche an Architektur und Städtebau werden immer höher, die Aufgaben immer komplexer und die Immobilienwirtschaft unterläuft diese Erfordernisse immer häufiger. Da können wir KI-Unterstützung gut gebrauchen. Stadtentwicklung, Mobilität, Nachhaltigkeit, Dichte, Soziales Bauen, Modulares Bauen, Cradle-to-Cradle, die Organisation der Zusammenarbeit und der Genehmigungsprozesse könnten durch KI einen großen Schub erfahren und zum Wohle aller vorankommen.

Viktor: Das glaube ich auch. Man kann all die individuellen Anforderungen, Regularien, sogar bis auf die kommunale Ebene, Learnings aus vergangenen Projekten, statische Restriktionen und so weiter, in Codes gießen, um damit Empfehlungssysteme zu entwickeln. Man beschreibt zukünftig ein Objekt und generiert den Entwurf, bis hin zur Detailzeichnung.

Woran denkst Du noch?

Eike: Auch die Entwicklung von Hochhauskernen, Treppenhäusern, die optimierte Verwendung von Baumaterialien, die Reduzierung von Stahl und Beton, die sparsamere Steuerung der technischen Anlagen und die Reduzierung von Technik in Gebäuden wird einfacher. Durch bessere Analyse- und Optimierungsmethoden wird es zu einer deutlichen Reduktion von mechanischer Technik kommen. Ich nenne das Smartphone and Stupidhome. Die Immobilienbranche hat das Smartphone noch nicht für sich entdeckt und denkt immer noch, das wäre so ein Gerät zum Telefonieren.

Viktor: “Smartphone and Stupidhome” gefällt mir. (lacht) Meinst Du also, dass man zukünftig noch mehr mit dem Smartphone steuern wird und weniger mit Tastern bzw. verbauten Steuerelementen?

Eike: Genau das meine ich.

Viktor: Dafür wird ein überdauernder Kommunikationsstandard benötigt, sodass Smartphones, die mit ihren Betriebssystemen wesentlich kürzere Lebenszyklen haben, als Smarthome Komponenten auch zukunftsfähig sind. Sonst entsteht nur noch mehr “geplante Obsoleszenz”, wie es leider heute bei den meisten, nicht reparierbaren, technischen Komponenten der Fall ist.

Eike: Die Branche versucht heute die Gebäude mit Technik aus dem 20. Jahrhundert vollzustopfen und möglichst viel Luft mit fossilem Energieaufwand durch Schächte und Kanäle zu blasen. Das ist veraltet. Der immense Energieverbrauch bei der Herstellung und beim Betrieb von Gebäuden hat wesentlich zur Klimakatastrophe beigetragen. KI gibt uns da neue Werkzeuge in die Hand, um für eine immer komplizierter werdende Welt bessere Lösungen herbeizuführen.

Viktor: Das stimmt. Kann gut sein, dass wir neuartige Empfehlungen für ökologischeres Wirtschaften erhalten, die uns zuvor noch nicht in den Sinn gekommen sind. Bei all der Technologieoffenheit muss man aber auf den ökologischen Fußabdruck von Software und, im Immobilienkontext, von smarten Komponenten achten und einfach eine realistische Gesamtkostenrechnung anstellen, die nicht nur auf CO2 Vermeidung im Betrieb achtet, sondern eben auf den Ressourceninput und die Wirkung über den gesamten Lebenszyklus bis hin zum End-of-Life. Dabei könnte eine Low-Tech Lösung sinnvoller sein. Ich glaube aber, dass uns KI zukünftig, auch im Kontext der Bauwirtschaft, stark bei der Transformation zu mehr Zirkularität helfen wird. Image Understanding in Kombination mit Sensor gestützten Daten, kann uns helfen den Bestand digital abzubilden und dann mit Hilfe von KI auf Recycelbarkeit bzw. Wiedernutzbarkeit zu untersuchen. Damit bringen wir auch echte Transparenz in den Bestand. Aber das wird nicht allen in der Branche gefallen. Greenwashing funktioniert dann nicht mehr richtig. Bevor ich jetzt noch weiter rede, wollte ich dich als Architekten, der sich auch für unsere Gesellschaft und Soziales interessiert, fragen, wie du die Wirkung der aktuellen Entwicklungen auf die Gesellschaft siehst?

Eike: Ich gehe davon aus, dass sich auch der Blick auf uns selbst und die Welt verändern wird. Vieles von dem, was unseren Tag, unsere Woche, unser Leben bestimmt hat, wird nicht mehr erforderlich sein. Yuval Noah Harari ist der Auffassung, dass wir von einer blinden, technischen Evolution getrieben werden, die von nichts und niemandem aufzuhalten ist. Die Evolution hat keine Ziele und ist kein Akteur. Verwandeln wir uns also geradezu zwangsläufig in eine phantasielose, KI abhängige Gesellschaft und schaffen uns am Ende selbst ab? Erleben wir also gerade den Anfang vom Ende des Anthropozäns? Oder gelingt es uns im Umgang mit der neuen Technik auch eine neue Ethik zu entwickeln? Und diese lernenden Maschinen zum Wohle aller zu formen und zu nutzen.

Viktor: Ich glaube nicht, dass die Evolution in diesem Bereich blind ist, sondern einfach, dass nur wenige Menschen echten Durchblick im Bereich haben. Selbst als Informatiker mit x zusätzlichen Kursen im Bereich KI, glaube nicht, dass ich hier echten Durchblick habe.

Eike: Das meine ich. Trotz, oder gerade wegen vieler Milliarden von bewussten, scheinbar rationalen Entscheidungen entsteht etwas, ganz natürlich, Schritt für Schritt, ohne dass einer oder wenige das Ergebnis im großen Maßstab angestrebt oder auch nur vorhergesehen haben.

Viktor: Meine Vermutung ist, dass wir eher getrieben werden, aber von technisch versierten Data- und Software-Engineers. Viel von dem, was man so hört, ist wenig von Fachkompetenz geprägt, sondern es schwingen häufig Phantasie, Ressentiments und überhöhte Erwartungen mit. Das ist aber nicht zwingend schlecht, sondern fördert den Diskurs. Wer hätte gedacht, dass mich meine Oma mal zum Thema KI fragt, weil sie etwas in der Zeitung gelesen hat? Grundsätzlich empfiehlt es sich aber, sich mit KI, zumindest in den Grundlagen, tiefergehend zu beschäftigen. Da muss man nicht mal programmieren, sondern lineare Algebra und Analysis reichen da schon in Teilen. Je faktenbezogener der Diskurs, desto besser für sinnhafte Forschung und Entwicklung, die dann schlussendlich auch zu einem lebenswerteren sowie ökologisch-intakteren Planeten führen kann. Wobei man auch sagen kann, dass unserem Planeten etwas mehr Glaube an peer-reviewed Wissenschaft nutzen würde, ungeachtet ob es um Themen wie Mobilität, Landwirtschaft, Energieversorgung oder Bau geht.

Eike: Denkst du, Viktor, dass die Beteiligten zu derartigen Entwicklungssprüngen in der Lage sind? Ist die Immobilienwirtschaft und die Baubranche dafür aufgestellt, um diese Entwicklungssprünge zu leisten? 

Viktor: Ich hole mal meine Kristallkugel (lacht). In meiner Zeit als digitaler Transformationsberater ist mir aufgefallen, dass die meisten Unternehmen leider nicht sonderlich risikofreudig sind und auch nicht in Forschung & Entwicklung investieren. Die Material- und Maschinenhersteller sind deutlich agiler. Der große Rest der Bau- und Immobilienwirtschaft ist leider sehr kleinteilig organisiert, hat keine F&E-Historie und läuft hinterher. Es gibt auch kaum gestaltende IT-Abteilungen, die eigene Lösungen entwickeln. Das Thema “Corporate Venturing” betreibt auch kaum einer. Die Idee zu Acquirepad z.B. haben Frederik und ich bereits seit 2016 immer wieder vorgestellt und sämtliche Investment -& Assetmanager sowie Projektentwickler, mit denen wir gesprochen haben, fanden es interessant, aber niemand wollte es umsetzen. Jetzt machen wir es selbst und haben Erfolg. Das wäre auch schon früher möglich gewesen.

Eike: Wir brauchen auch an dieser Stelle viel mehr Kooperation, also eine große Koalition der diversen Kompetenzträger aus Wirtschaft, öffentlichen Institutionen und Wissenschaft, Viktor. Alle an einen Tisch.

Viktor: Die Verbände wären dafür prädestiniert, aber auch hier stößt man häufig an Grenzen. Das habe ich in den vergangenen Jahren nur allzu häufig erleben dürfen.

Eike: Das sehe ich ähnlich, Viktor. Gerade beteilige ich mich an der Entwicklung einer Software: SOMA soll die Zusammenarbeit von Bauherren, Architekten, Fachplanern und Behörden vereinfachen und verbessern. Das Programm verknüpft Protokolle mit Terminplänen, To-Do Listen, Rechnungen und macht alles für die Beteiligten transparent. Und verschafft ihnen dafür mehr Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben.

Wer hat Lust mitzumachen?

Viktor: Das finde ich wirklich klasse, Eike. Genau sowas braucht es. Sowas sollten mehr Unternehmen machen und auch die Verbände. Lasst uns die Chancen, die Technologien und sich wandelnde Marktverhältnisse mit sich bringen, gemeinsam (!) in der Branche nutzen. 

Eike: Vielen Dank für das inspirierende Gespräch, Viktor!