Die Kolumne. "Klimaneutral"

Die Kolumne. "Klimaneutral"

Seit Jahren bereiten mir die sportlichen Treffen mit Freunden im Tiergarten großes Vergnügen. Bei Wind und Wetter, im Sommer und im Winter. Die sind ja mittlerweile so milde, dass kaum mal eine Zusammenkunft ausfällt. Zwischen den Bäumen genießen wir die frische Luft, brauchen kein künstliches Licht und keine Klimatisierung. Wenn wir alle wie Matthias als Jogger oder Ivan mit dem Fahrrad kämen, wäre unsere Sportgruppe klimaneutral. Wenn ich Jan mit dem fossilen Auto abhole, gelten wir als Fahrgemeinschaft: 90 mal 3,6 km hin und her, ergeben 0,13 t CO2/Jahr. Wäre er häufiger dabei, könnte ich ihm meine Emissionen zur Hälfte anrechnen. Armand benutzt sein Fahrrad oder ein Elektroauto mit Flügeltüren: 45 mal 3,4 km hin und her ergeben 0,003 t CO2/Jahr.

Einer der Arbeitskreise in unserem Büro ist der für Nachhaltigkeit und er hat erreicht, dass wir jetzt gefiltertes Wasser, mit und ohne Kohlensäure, aus der Leitung bekommen und unser Kaffee aus ökologischem Anbau fair gehandelt ist. LED-Leuchten sind installiert. Wir drucken weniger und benutzen das Papier zweiseitig. Immer häufiger ersetzen Vikos Reisen, Fahrräder Autos und Züge Flüge. Bis wir zu der Frage kamen, was wir eigentlich tun müssten, um komplett klimaneutral zu werden. Das wäre doch ein richtig guter Schritt voran! Eine Bergbesteigung, ein visionäres und notwendiges Ziel für die nächsten Jahre, klar im Blick!

Aber wo fängt man da an? Und wie stellt man fest, was jeder einzeln und wir alle gemeinsam verbrauchen und emittieren? Dafür gibt es bereits eine wachsende Anzahl von Unternehmen, die den CO2-Fußabdruck errechnen und beratend in die Klimaneutralität begleiten.

Nach diversen Recherchen, Interviews und Angeboten haben wir uns für „Fokus Zukunft“ entscheiden. Ein Unternehmen mit 21 Mitarbeitenden in Berg am schönen Starnberger See. Den haben wir während der Zusammenarbeit natürlich kein einziges Mal gesehen. Zoom sei Dank.

Typisch für skalierbare Dienstleistungen: Die umfangreiche Datenerfassung war unsere Aufgabe.

Wer fährt mit welchem Verkehrsmittel und wie weit zur Arbeit, wie viele Flugreisen wurden unternommen, Hotelübernachtungen, wie viele Zugfahrten, wie viel Papier verbraucht, wie viele Bildschirme, Headsets, Rechner, Telefone haben wir, wo kommt unser Strom her, wie werden unsere Büroräume temperiert, wie hoch ist der Wasserverbrauch und das Abfallaufkommen, etc.

Der Emissionsbericht wurde entsprechend den Richtlinien des „Greenhouse Gas Protocol Corporate Standard“ erstellt. Für die Bilanzierung von Treibhausgasemissionen von Unternehmen ist der international am weitesten verbreitet und anerkannt. Dabei werden die Emissionen in drei Scopes eingeteilt: Selbsterzeugte Emissionen (Scope 1), Emissionen eingekaufter Energie (Scope 2) und Emissionen, die durch Dritte erbrachte Vorleistungen berücksichtigen (Scope 3).

Um die Komplexität zu reduzieren, werden die Wirkungen der sieben Treibhausgase in Abhängigkeit von ihrer schädigenden Klimawirkung in CO2 Äquivalente oder CO2e umgerechnet.

Das Gesamtergebnis war eine Riesenüberraschung. Im Berichtsjahr wurden von uns insgesamt 28 t CO2e emittiert. Das sind pro Person 0,53 t CO2e.

Im Vergleich mit anderen Unternehmen unserer Größe und Branche liegt der Wert im niedrigen Bereich. Das verdanken wir im wesentlichen Vattenfall, da wir an deren CO2 neutrales Fernwärmenetz angeschlossen sind. Und unserem Vermieter, der grünen Strom einkauft. Beides geht mit unglaublich vorbildlichen 0% in unsere Gesamtrechnung ein. Das sind aber normalerweise die stärksten Treiber.

Deshalb haben Hardware (31%) und Arbeitswege (19%) den größeren Anteil an unserer Bilanz. Auch wenn viele von uns mit dem Fahrrad oder den Öffis ins Büro kommen und wir in dem Corona-Jahr weniger gereist sind, fallen durch den Kraftstoffverbrauch (19%) und die Geschäftsreisen (16%) wesentliche Mengen an Treibhausgasemissionen an.

Damit entspricht unser Fußabdruck vier durchschnittlichen Personen in Deutschland, die pro Jahr circa die gleiche Menge an Emissionen verursachen. Oder den CO2-Emissionen, die elf Bäume über ihren gesamten Lebenszyklus binden. Oder 129.000 km, die mit dem Auto gefahren werden. Oder einer Person, die viermal um die Welt fliegt.

Zukünftig bleiben uns noch Sparmaßnahmen wie die Umstellung von fossilen PKWs (0,20 kg/km) auf Elektromobilität (0,01 kg/km), der vermehrte Einsatz von Videokonferenzen, der Ersatz von Kurzstreckenflügen (0,24 kg/pkm) durch die Bahn (0,01 kg/pkm), CO2-Kompensation bei unvermeidbaren Flügen, Job Tickets für die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, die Reduzierung des Abfalls, der Umstieg auf recyceltes Papier und die weitere Reduzierung bis zum papierlosen Büro.

Nicht im Bericht erfasst, aber trotzdem sinnvoll: Der Wechsel zu einer grünen Bank. Zum Beispiel zu Triodos, Ethikbank oder GLS. Oder zu einer grünen Suchmaschine. Druckaufträge können wir an klimaneutrale Umweltdruckereien vergeben. Im Restaurant hier im Haus gibt es bereits vegetarische, immer häufiger auch vegane Alternativen.

Um aber bereits heute, also sofort und unverzüglich klimaneutral zu sein, können wir Zertifikate kaufen und damit unsere Emissionen kompensieren. Eine sehr schlaue Idee.

Die Förderung von Projekten in den Entwicklungs- und Schwellenländern scheint dabei besonders sinnvoll. Denn die sind am stärksten vom Klimawandel betroffen, haben ihn aber am wenigsten verursacht. Und wo man Emissionen reduziert auf der Erde, ist egal.

In unserem Fall haben wir für die 28 t CO2e 28 Klimaschutzzertifikate für 2022 und 28 Zertifikate für 2023 erworben.

Damit kann Wasserkraft in Brasilien, Windkraft in der Türkei, Aufforstung in Uruguay oder Waldschutz in Peru gefördert werden. Wir haben uns für effiziente Kochöfen in Kenia entschieden. Das hat 431,20 Euro gekostet.

Ja, so ist es. Ein Zertifikat kostet im Jahr 2022 4-18 €! Und das war der eigentliche Schock für mich! Für ein paar 100 € kann ich die 28 t CO2e, die unser Büro emittiert, ausgleichen. Der Dienstleister, den wir für die simple Berechnung unserer Emissionen bezahlt haben, kostet 1.800 Euro.

Kann das so richtig sein? Ist das angemessen? Ist das jetzt Greenwashing? Eine Art Marketing-Idee, durch die wir uns auf dem Briefpapier klimaneutral nennen können?

Mir ist klar, dass der Weg, die Berechnungsmethoden, die Systemgrenzen und die Summe der Ausgleichszahlungen fragwürdig sind. In dem Zertifikat werden zum Beispiel unsere Planungsentscheidungen nicht berücksichtigt. Immer noch bauen wir unter Verwendung von klimaschädlichem Zement und Stahl. Damit verbunden ist der Ausstoß von tausenden von Tonnen CO2.

Trotzdem, der Anfang ist gemacht. Bereits heute hat es dazu geführt, dass wir uns alle im Büro intensiver damit beschäftigen. In zwei Jahren, zur nächsten Evaluation, werden wir mehr wissen und besser sein.

Als ich meinen Kollegen beim Sport im Tiergarten am vergangenen Samstag von unseren Bemühungen berichtete, kam ich gar nicht mehr zu differenzierteren Überlegungen. Sie befürchteten, dass ich auf der MIPIM herumlaufen könnte und allen erzähle, wie toll klimaneutral mein Architekturbüro im Gegensatz zu ihrem ist! Alles weitere ging im allgemeinen Gelächter zwischen den Liegestützen und Hockstrecksprüngen unter.

Zu meinem Vorschlag, gemeinsam eine Initiative zu gründen, die dafür wirbt, dass die Planungsbüros, Entwickler, Dienstleister und Verbände in der Immobilienwirtschaft 2022 schon mal klimaneutral werden, bin ich gar nicht erst gekommen.

Die Idee finde ich aber immer noch gut.

Wer hat Lust mitzumachen?