Die Kolumne. Eike Becker: "Insellage", erschienen in Immobilienwirtschaft 10/2018

Die Kolumne. Eike Becker: "Insellage", erschienen in Immobilienwirtschaft 10/2018

Es ist nicht so, dass das Land Berlin gar nicht versucht hätte, diesen historischen Ort angemessen zu gestalten: Gleich nach der Maueröffnung sollte mit Unterstützung des amerikanischen Kosmetik-Milliardärs Ronald Lauder ein American Business Center entstehen. Auf den Brachen rechts und links der Friedrichstraße waren fünf Bürogebäude mit insgesamt 160.000 m² Bruttogeschossfläche geplant. So richtig Business eben. Die kompakte Blockrandbebauung, das städtebauliche Prinzip der historischen Friedrichstadt, wurde ohne Rücksicht auch für diesen historischen Ort zum Dogma erhoben. Drei der Gebäude wurden auch so realisiert. Einfach mal volllaufen lassen. Welcome capitalism. Danach brach der Berliner Büromarkt zusammen. Lauder stieg aus und der für den Gebäudekomplex gegründete Immobilienfonds meldete 2005 Insolvenz. So long capitalism.

Damit waren die amerikanischen Business-Pläne Geschichte, aber die enormen Bürgschaften des Berliner Senats blieben bestehen. Und die Grundstücke wurden zu einem Spekulationsobjekt, wanderten von einem Investor zum anderen. Das Land Berlin ließ es geschehen. Letztendlich landete das Gelände beim Insolvenzverwalter, der es zur Zwischennutzung an Budenbetreiber vermietet. Das ist verständlich, denn Stadtplanung ist nicht seine Aufgabe. Auf Wiedersehen, Stadtplanung. Und so verkam der Checkpoint Charlie zum ganzjährigen Klamaukmarkt. Tourists welcome.

2007 erwarb eine irische Investorengruppe die Insolvenzforderungen samt Grundschulden, tat auch wieder nichts und verkaufte 2015 mit sattem (sehr sattem) Gewinn an Trockland. Die wollen nun wirklich dort bauen und haben damit den Senat fast 30 Jahre nach dem Mauerfall völlig überrascht. Das ist nur durch einen Mangel an geschichtlicher Verantwortung für diesen Ort oder allgemeiner Überforderung zu erklären. Dabei erkennen gerade ausländische Besucher hier die Wunde einer Stadt, in der sich die Panzer feindlicher Imperien gegenüberstanden, in einer politischen Eiszeit, die Menschen auf der ganzen Welt noch heute erschaudern lässt.

Stand der Verhandlungen heute: im Keller soll für etwa 1 Million Euro Miete/Jahr ein Museum des Kalten Krieges entstehen, darüber ein Hotel sowie eine Mischung aus Geschäften, Büros und Wohnungen – davon 30 Prozent Sozialwohnungen. Also für alle etwas. Geht so Stadtplanung? Mit Beruhigungspillen für alle? Lavierendes Krisenmanagement zwischen den Fronten ohne eigene Ideen? Wer kann sich da noch beschweren?

Doch kaum liegt das Konzept auf dem Tisch, regt sich Protest. Weniger am Museumsprojekt, das kommt später. Es ist die Bebauung der Brachen durch den Investor, die jetzt Widerstand weckt. Die Interessen der Öffentlichkeit werden Renditen geopfert, so der Vorwurf der Kritiker. An der Öffentlichkeit vorbei, soll das Land Berlin bereits einen „Letter of Intend“ mit dem Investor unterzeichnet haben. Vor drei Monaten lobte das Land noch schnell einen städtebaulichen Wettbewerb aus, der die Grundlage für einen Architektur-Wettbewerb bilden soll. Sieben Architekturbüros wurden eingeladen, Entwürfe für die Bebauung der Brachen zu machen. Eine völlige Überraschung ist dabei die kürzlich erteilte Auflage des Denkmalschutzes, die noch vorhandenen Brandwände der Nachbargebäude als markante Zeichen des historischen Ortes nicht zu bebauen. Ein einzigartiges Vorgehen. Dadurch ist eine kompakte, halbwegs niedrige Blockrandbebauung, wie sie im Planwerk Innere Stadt und in der Erhaltungssatzung Friedrichstadt seit Jahrzehnten gefordert wurde, nicht mehr möglich. Das könnte ein faszinierender Ausgangspunkt für bedeutende Entwürfe sein, wenn die darauf geplanten Bauvolumen entsprechend reduziert würden. Das geschieht aber nicht. Um die bereits zugesicherte Baumasse zu erreichen und um Schadenersatzzahlungen zu vermeiden. Nun kann sich die Senatsverwaltung auch zwei 60 m hohe Türme vorstellen. Auch ohne Hochhausrahmenplan. Das ist mal eine pragmatische Lösung: Brandwände für Höhe. Aber souveräne, vorausschauende Lenker des Verfahrens würden andere Entscheidungen treffen. Zu beurteilen, welcher Entwurf letztendlich diese Fragen am Besten beantwortet, ist Sache einer noch zu benennenden Jury – und der Bürgerinnen und Bürger, die aufgefordert waren, ihre Meinung einzubringen. Die konnten die Entwürfe ganze drei Tage in Augenschein nehmen – mitten in den Sommerferien. So wird die als „ergebnisoffener Dialog“ gepriesene Bürgerbeteiligung zum reinen Partizitainment.

In so einem Wirrwarr aus Partikularinteressen, Wünschen und Zwängen arbeiten Architekten und Stadtplaner häufig. Aber können sie all diesen Anforderungen und diesem Ort damit überhaupt gerecht werden? Ein 60 m Turm wirft große Abstandsflächen, die kaum auf den vorhandenen Grundstücken abgetragen werden können. Kann damit überhaupt das Baurecht eingehalten werden? Ist dies wirklich ein besonders geeigneter Ort für Sozialwohnungen, also lauter Balkonen in Kieskratzputz? Sind die Brandwände der Nachbarhäuser wirklich so bestimmend für diesen Ort? Droht da nicht eine derartige Vorfestlegung das Gesamtensemble kaputt zu machen? Ist die Bedeutung dieses Erinnerungsortes für die Welt nicht deutlich vorrangig zu bewerten? Überstrahlt diese Funktion nicht die anderen Nutzungen und Anforderungen?

Das Ringen mit den Umständen und unkoordiniertes und ausschließlich reagierendes Verhalten drohen hier einen magischen Ort zu ruinieren. Auch Thomas Morus ist geköpft worden. Checkpoint Charlie und Morus zeigen, wie gut wir daran täten, das Wie und Wer und Was der heutigen Stadtproduktion und -gesellschaft zu hinterfragen. Und, wie Thomas Morus für seine Zeit, auch für uns heute Vorstellungen und Strategien für eine bessere Stadtgesellschaft zu entwickeln.