Reden über Baukultur mit ...

Reden über Baukultur mit ...

…Eike Becker

Über das Bauen für eine pluralistische, durchmischte und kreative Stadt

Aus meinem Büro im 15. OG schaue ich an einem Sommersonntag auf Berlin. So weit das Auge reicht ist diese ruppige und abwechslungsreiche Welt von Menschen gemacht. Durch die Vielfalt schier unzähliger Planungen ist über Generationen hinweg etwas entstanden, was kein Einzelner je so gewollt hat. In einem endlos verzweigten und sich ständig verändernden Netz von Mitwirkenden wurde geplant, verworfen, gebaut, abgerissen, zerstört und wieder aufgebaut. Dadurch wird jede Stadt das Abbild ihrer Erbauer, also der Gesellschaft, die sie sich erschafft. Klaus Humpert hat es so formuliert: „Wenn die Gesellschaft in Ordnung ist, sind auch die Städte in Ordnung“.

Dabei sehen wir heute nur eine Momentaufnahme im Strom stetigen Wandels. Die Stadt der Zukunft ist die von heute, nur morgen, und vermutlich völlig anders.Gute Architektur und nachhaltiger Städtebau sind in der Regel heute nicht mehr das Ergebnis schneller Entscheidungen exklusiver Gruppen, sondern erwachsen im günstigen Falle aus Strukturen, die faire, gleiche und offene Beteiligungen regeln. Es sind die inklusiven, öffentlichen Institutionen, die dies ermöglichen und für Gesellschaften häufig so schwer zu erreichen und zu halten sind. Mein Lebensraum der Zukunft ist die nachhaltige, pluralistische, durchmischte und kreative Stadt, die auf gerechte Weise alle ein- und keinen ausschließt, die diversen gesellschaftlichen Gruppen zusammenbringt und sich dabei auch in zunehmendem Maße über Teilhabe definiert. Sie ist das Ergebnis fortlaufender Abstimmungen zumeist unterschiedlicher Lebensentwürfe und häufig gegensätzlicher Protagonisten. Die Lösungen sind zumeist differenzierter, innovativer und können besser in einer sich verändernden Welt bestehen. Auch wenn ich an der Langsamkeit und der Tragik vieler Entscheidungen am Rande des Scheiterns häufig verzweifle, gibt es heute noch keine leistungsfähigeren Systeme, wenn es um die Schaffung lebendiger, lebenswerter und nachhaltiger Städte für Viele geht.

Bürgerinitiativen sind dabei zu einer kraftvollen Bewegung geworden. Der Frust rührt heute vielfach daher, dass die als „ergebnisoffener Dialog“ gepriesene Bürgerbeteiligung vielfach zum reinen Particitainment wird. Heute geht da noch einiges durcheinander. In ungeklärten Verhältnissen wirken die meisten Beteiligten überfordert. Kommunale Verfahren befinden sich aktuell in der Erprobung. Leitlinien werden vielfach noch erarbeitet. Wer bei welchen Themen mitbestimmt, ist noch häufig unklar. Architekten sollten dabei kritisch ihr Selbstverständnis und ihre Aufgaben hinterfragen. Sie werden als Mediatoren und Ideengeber mehr denn je gebraucht. Ein Mangel an Visionen ist nicht immer ein Segen und nicht jede Vision ist schlecht. Ohne nachvollziehbare Vorstellungen und Projekte kann nicht die narrative Kraft entstehen, die Mehrheiten hinter sich versammelt.

Das Ringen um die beste Lösung ist oft zäh, und kann Projekte verzögern oder sogar verhindern. Das ist der Preis der Partizipation – aber ohne sie wird die kreative, offene Gesellschaft kein Zuhause finden.

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