Stupid Home and Smartphone. Eike Becker im GEG - Sonderheft

Stupid Home and Smartphone. Eike Becker im GEG - Sonderheft

Das aktuelle GEG-Gesetz erhitzt die Gemüter. Grundsatzdiskussionen um Wärmepumpen und Gaskessel beherrschen gerade die öffentliche Diskussion. Aber, in welche Richtung man auch immer schaut: die Energiekosten werden in den kommenden Jahren steigen. Deshalb ist die beste Energie die, die erst gar nicht verbraucht wird. Die Branche versucht dagegen heute noch, die Gebäude mit Technik aus dem 20. Jahrhundert vollzustopfen und möglichst viel Luft mit riesigem Energieaufwand durch Schächte und Kanäle zu blasen. Das ist „Old School". Und hat zur Klimakatastrophe entscheidend beigetragen.

Doch durch bessere Analyse und Berechnungsmethoden können wir zu einer deutlichen Reduktion von mechanischer Technik in den Gebäuden kommen. Wir nennen das Prinzip Stupid Home and Smartphone. Bis heute denkt die Immobilienbranche immer noch, das Smartphone wäre zum Telefonieren da. Leider hat sie die Potenziale dieses Devices noch gar nicht für sich entdeckt…

Konsequente Ziele und Teamgeist

Lowtech-Gebäude sind schon in der Grundkonzeption so gestaltet, dass mit möglichst wenig Technik das erforderliche Raumklima erreicht wird. Erfolgreiche Lowtech-Gebäude setzen konsequente strategische Ziele voraus. Diese müssen zu Beginn der Planung klar festgelegt und nach Fertigstellung mit messbaren Kennzahlen überprüft werden, um von den Ergebnissen zu lernen und es beim nächsten Mal noch besser zu machen. Klassische Nachhaltigkeitskriterien oder -anforderungen, wie bei DGNB oder ESG, führen nicht zwangsläufig zu Niedrig-energiebauten. Auch das Ziel, ein sogenanntes Null-oder gar Plusenergie-Gebäude zu ermöglichen, wird durch diese Nachhaltigkeits-kriterien nicht selbstredend erreicht.

Ganzheitliche Anforderungen, in Kombination mit einer ergebnisorientierten Planung und Errichtung, resultieren dagegen aus einem konsequenten Life-Cycle-Ansatz. Um hier erfolgreich zu sein, sollte in der Nutzungsperiode der Energiebedarf einen CO2-Fußabdruck besser als Null haben. Das geht nur durch Plusenergie-Bauten. Damit der „Rucksack" aus der Gebäudeerrichtung für die Energieversorgung nicht zu groß wird, spielt jedoch schon die Auswahl der Baumaterialien eine große Rolle.

Erfolgsfaktor Gebäudehülle

Hier trifft es sich gut, dass i. d. R. Baumaterialien, wie Holz und Lehm, nicht nur den CO2-Verbrauch bei der Gebäudeerrichtung reduzieren, sondern auch positive Auswirkungen auf Behaglichkeit und Energiebedarf haben. Natürliche Baustoffe und eine massive Gebäudehülle ermöglichen eine effiziente Nutzung vorhandener Energien. Das bedeutet dabei nicht den übermäßigen Einsatz von Technologie, sondern vielmehr die Beschränkung auf vorhandene Ressourcen und bewährte Techniken. Eine entsprechend massiv ausgebildete Fassade kann im Sommer kühlend wirken und im Winter die vom Menschen erzeugte Wärme speichern. Öffenbare Fenster, die für angemessenen Luftaustausch sorgen, sind ein weiteres, entscheidendes Kriterium. Auch das nächtliche Lüften ist eine bekannte und effiziente Methode zur thermischen Stabilisierung der Gebäude im Sommer. Diese Konzepte müssen jedoch in unsere Zeit übertragen werden, um zusätzlichen Nutzen und Komfort zu bieten. Die Stichworte hierbei sind Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und die damit verbundenen Technologien. Mit unseren Smartphones können wir etwa den Sauerstoffgehalt und die Temperaturschwankungen überwachen, intelligente Lüftungspläne erstellen oder uns einfach ans regelmäßige Stoßlüften erinnern lassen.

Eine entscheidende Rolle spielen dabei die Fassaden, die nicht nur den Lichteinfall regulieren, sondern nützliche Energie gewinnen und speichern. Heute muss immer wieder hinterfragt werden, ob der Einsatz von Hochtechnologien tatsächlich sinnvoll ist.

Überwiegen die eingesparten Ressourcen den Aufwand und den Verbrauch? Geht die Langlebigkeit des Gebäudes Hand in Hand mit dem Lebenszyklus der Technologie?

Graue Energie und Emissionen müssen insbesondere im Zusammenhang mit der Gebäudehülle berechnet werden, da sie von entscheidender Bedeutung für klimaneutrale Neubauten und nachhaltige Revitalisierungen ist.

Gebäudetechnik als Minimalprinzip

Ist erst einmal durch eine gute Gebäudehülle die Grundlage für ein Niedrigenergie-Gebäude gelegt, muss im Nachgang für die technische Gebäudeausrüstung auch konsequent die Vorgabe gelten, möglichst viel Gebäudetechnik zu vermeiden.

Heizung und Kühlung sind auf das Notwendigste zu reduzieren. Sofern das nicht schon durch die Wahl der Materialien erfolgt ist, sind Systeme mit Strahlungsanteilen bei der Heizung zu berücksichtigen. Für die (Rest-)Kühlung ermöglichen adiabate Kühlsysteme einen optimierten Energieeinsatz. Neben technischen Lösungen in raumlufttechnischen Anlagen oder durch das Einsprühen von Wasser kann die Technik idealerweise durch sinnvolle Pflanztröge oder „Brunnen" ersetzt werden. Luftwechsel sind, wo möglich, über natürliche Belüftung zu lösen. Und bei der Beleuchtung ist eine sinnvolle Gestaltung der Fensterflächen für die Tageslichtnutzung anzustreben, während eine durchdachte Raumbelegung reduzierte Technik für Transportenergie erreichen kann.

Speicher statt Leistung

Sehr viel Technik und „überdimensionierte Anlagen" haben oft ihre Ursache in großzügiger Ermittlung entsprechender Verbräuche, im Regelfall in Kombination mit einem „Angstfaktor", der noch obendrauf gerechnet wird. Angemessene Anlagengrößen lassen sich schon mal mit einer qualifizierten Ermittlung von Wärme-, Kälte- und Strom-Bedarf erreichen. Gute Praxiserfahrung und die Auswertung realer Gebäude sind hier sicherlich hilfreich. In den allermeisten Fällen ist die Raumbelegung niedriger, als sie angenommen wird.

Darüber hinaus resultiert die normative Leistungsberechnung aus „Extremsituationen". Hier kann in Abstimmung mit dem Bauherrn geprüft werden, inwieweit diese sehr unwahrscheinlichen Szenarien zwingend in der Bedarfsermittlung berücksichtigt werden.

Auch mit Speichern lässt sich die installierte Technik signifikant reduzieren. Speicher haben überdies den Vorteil, dass sie das "Takten" von Anlagen vermeiden und so einen effizienteren Betrieb ermöglichen. Und das hat zudem die positive Begleiterscheinung reduzierter Instandhaltungskosten. Große „Schichtwärmespeicher" sind schon sehr verbreitet. Neben dem optimierten Betrieb von Solarthermie- und BHKW-Anlagen sind diese auch bei der zunehmenden Anzahl von Wärmepumpen unerlässlich. In Kombination mit Power-to-Heat-(P2H)-Aggregaten kann die installierte Leistung der Wärmeerzeuger, und somit der Einsatz von Technik, erheblich gesenkt werden. Und durch den Einsatz geeigneter Eisspeicher lässt sich die Kälteleistung bei Büro- und Wohngebäuden um bis zu 50 % reduzieren.

Stromspeicher optimieren nicht nur den elektrischen Autarkiegrad durch mögliche PV-Module, sie können auch einen Beitrag zur sicheren Stromversorgung leisten. Die Notwendigkeit von Notstromdiesel-Aggregaten kann somit kritisch hinterfragt oder wenigstens signifikant reduziert werden. In diesem Zusammenhang sei auch auf eine nachhaltige Alternative hingewiesen.

„Stinkende und laute Motoren" können künftig durch notstromfähige Brennstoffzellen ersetzt

werden - eine deutlich sauberere Technik mit weniger Platzbedarf. Wem trotz der Möglichkeit reduzierter Aggregate zur Erzeugung der jeweiligen Energieformen die genannten Speicher noch zu „technisch" sind, dem bleibt als weiterer Lowtech-Ansatz die Nutzung thermoaktiver Decken oder Betonkernaktivierung. Durch dieses etwas trägere System und der daraus resultierenden Speichermassen können ebenfalls Wärme- und Kälteerzeugung in der Leistung reduziert werden.

Die Kraft der Sonne

Sämtliche „Restenergie" kann theoretisch leicht mit der Nutzung von Sonnenenergie ermöglicht werden. Der Einsatz von fossilen Energieträgern lässt sich somit leicht vermeiden - erst recht in Lowtech-Gebäuden. Solarthermie für Heizzwecke oder PV-Module zur Stromerzeugung sind hier natürlich die geläufigsten Lösungen in der Gebäudetechnik. Auch durch die indirekte Nutzung der Sonnenenergie und die o. g. passende Materialwahl kann eine optimierte Behaglichkeit erreicht werden. Windkraftanlagen werden in Gebäuden nur in Ausnahmefällen eine Rolle spielen. Grüner Strom aus solchen Anlagen kommt dann eher über den Stromanschluss ins Gebäude, z. B. als PPA

(Power Purchase Agreement).

Faktor Mensch 

Auch der Mensch als Nutzer muss seinen Beitrag zum effizienten Umgang mit Energie leisten. Schließlich produzieren wir 24 Stunden am Tag Wärme. Warum also nicht dafür sorgen, dass diese Energie bestmöglich innerhalb des Gebäudes verteilt und gehalten wird? Hierin steckt auch ein grundlegender Gedanke: Wir müssen ein neues Selbstverständnis entwickeln, wenn wir Fortschritt nachhaltig gestalten wollen. Das betrifft zum einen die Anreizkultur in der Baubranche, die zu sehr auf Quantitäten und Monetarisierung setzt, statt auf die Entwicklung sparsamer und effizienter Lösungen oder auch sozialer Qualitäten. Zum anderen geht es darum, welche Ansprüche wir für uns selbst tatsächlich erheben sollten: Wollen wir immer nur alles vermeintlich optimieren, oder wollen wir eine Umgebung schaffen, in der wir uns wohlfühlen und die trotzdem gut für uns, unsere Umwelt und die nachfolgenden Generationen ist? Dabei schließt das eine das andere nicht aus. Vor allem, da der menschliche Körper in der Lage ist, mit verschiedensten Umweltfaktoren umzugehen. So muss es bspw. nicht 365 Tage im Jahr die gleiche Temperatur in einem Raum haben, damit wir uns darin wohlfühlen. Es darf Schwankungen geben, aber gleichzeitig darf man erwarten, z. B. Extremtemperaturen in Gebäuden zu regulieren bzw. gar nicht aufkommen zu lassen, um Arbeit und Leben auf einem komfortablen Level zu halten. Der Apell lautet: Lasst uns nutzerbestimmte Lösungen finden!

Gerade die Nutzer sollten stärker in die thermische Regulierung ihrer Räume eingebunden werden. Dabei geht es nicht um die Erzeugung eines maximalen, gleichbleibenden, gedankenlosen Komforts. Vielmehr geht es um eine selbst initiierte gedankenvolle Optimierung der für die eigene Behaglichkeit erforderlichen Parameter. Wer über sein Smartphone seine Reise selbstständig buchen kann, der kann auch darüber selbst seine Raumtemperatur steuern. Warum benötigt ein Gebäude noch eine Sicherheitskamera und eine Klingel? Das könnte auch über einen QR-Code am Eingang und die Smartphones der Benutzer geregelt werden. Könnten nicht auch Batterien beim Fahrradfahren aufgeladen werden und dann im Haushalt Verwendung finden, anstatt Batterien im Haushalt aufzuladen, um das Radfahren zum Fitnessstudio zu vereinfachen?

Mutige Bauherrn gefordert

Doch dafür braucht es auch Entscheider in der Immobilienwirtschaft, die sich von gängigen Konventionen lösen. Die Fortschritt nicht ausschließlich mit Technologie verbinden, sondern die sich auch darauf besinnen, was wichtig ist für heute, morgen und übermorgen und die dafür neue Wege gehen. Derzeit wird die Immobilienwirtschaft durch falsche Anreize und Ängste bestimmt.

Dazu gehört z. B. der Einsatz von übermäßiger Klimatechnik, überhöhte Baustandards und Regulation. Um das zu überwinden, braucht es identitätsstiftende und innovative Gebäudeentwürfe. Um neue Wege auszuloten, das System Bauwirtschaft weiterzuentwickeln und die dringend notwendige Transformation zu inspirieren. Dazu gehört es, den Einsatz von aufwendiger und wartungsintensiver Technik zu reduzieren und stattdessen neue Steuerungsmethoden zu implementieren.